Schon seit Jahren besteht Klärungsbedarf über Inklusion in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbMs). Seit 2009 ist die UN Behindertenkonvention (UN-BRK) in Deutschland geltendes Recht. Im Mittelpunkt steht die Verpflichtung zur Inklusion als Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Dies betrifft auch den Arbeitsmarkt und damit „das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit und….den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen.“(§ 27 UN BRK)
Für Deutschland wurde bei der letzten UN Staatenprüfung, deren Ergebnisse im August 2023 vorlagen, herausgestellt, dass sich die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt weiter verfestigt. Trotz des Mangels und Arbeits- und Fachkräften ist die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderungen überdurchschnittlich hoch und lang anhaltend. Außerdem erfüllt nur ein kleiner Teil der Betriebe ihre gesetzliche Verpflichtung zur Beschäftigungsquote von 5 Prozent für schwerbehinderte Menschen. Vielmehr befreien sie sich mit der Zahlung der Schwerbehindertenabgabe. Ob die kürzlich erfolgte Erhöhung dieser Abgabe zu mehr Beschäftigung schwerbehinderter Menschen führt, bleibt abzuwarten. Sowohl die Sonderschulen wie die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen werden in der Staatenprüfung der UN kritisiert -als Sonderwelt anstatt Inklusion in Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt.
In Berlin gibt es seit 1962 die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (BWB). Inzwischen sind sie an 12 Standorten mit breiter regionaler Verteilung in West und Ost vertreten. Etwa 1500 Menschen mit Behinderungen erledigen Arbeiten für private und öffentliche Unternehmen in vielfältigen Tätigkeiten. Sie reichen von der KfZ -Aufbereitung und Montage in der Automobilindustrie über Verpackung, Elektronik bis zu EDV Dienstleistungen, aber auch bis zur Anlage und Unterhalt eines Kräutergartens, der Hauswirtschaft sowie kunstgewerbliche Produktion.
WbfMs sollen als soziale Einrichtungen Menschen mit Behinderungen einen geschützten Raum bieten, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erproben. Sie erhalten Sozialleistungen zum Lebensunterhalt und für ihre Arbeit lediglich ein „Taschengeld“ zwischen 200 und 300 €. Zusätzlich haben sie bereits nach 20 Jahren Beschäftigung in den Werkstätten Anspruch auf den sog. Nachteilsausgleich bei der Rente, die auf 80 % des Durchschnittseinkommens aufgewertet wird. 2023 betrug damit die Altersrente bereits nach 20 Jahren Beschäftigung in der Werkstatt etwa 1300 €. Allerdings haben Werkstattbeschäftigte keinen Anspruch auf Arbeitslosen-/bzw. Kurzarbeitergeld.
Die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind seit Jahren in der Kritik-wegen der geringen Entlohnung und damit der weiteren Abhängigkeit von Sozialleistungen; -vor allem aber wegen der Ausgrenzung aus dem regulären Arbeitsmarkt.
Das Bundesarbeitsministerium hat 2021 eine Studie in Auftrag gegeben für das Entgeltsystem in den WfbMs sowie den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt, deren Ergebnisse im September 2023 veröffentlicht wurden.
Danach wird auch weiterhin die Einrichtung der Werkstätten als geschützte Arbeitsräume für Menschen mit schwersten Behinderungen erforderlich bleiben. Dies bedingt regelmäßige Analysen von Art und Grad der Behinderungen. Erst dann kann festgestellt werden, wer von den betroffenen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann, welche Hilfen dazu erforderlich sind und wer zunächst in den sozialen Schutzraum einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen aufzunehmen ist.
Folgende Handlungsperspektiven für die Reform der WbfMs sind vordringlich:
- Den Werkstattbeschäftigten ist für ihre Arbeitsleistung Mindestlohn oder besser noch Tariflohn zu zahlen Nur dann haben sie überhaupt eine Chance, Ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise durch ihre Arbeit zu verdienen. Dazu reicht allerdings der derzeitige Mindestlohn von 12,82 € nicht aus. Der Mindestlohn ist vielmehr umgehend auf 15€ aufzustocken und dann jährlich an die Lohn- und Preiserhöhungen anzupassen.
- Weiterhin ist der Übergang aus den WBMs in den regulären Arbeitsmarkt erheblich zu verbessern. Derzeit besteht ein krasses Mißverhältnis von einem Drittel der Beschäftigten in den WBMs, die den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt wünschen und nur 0,35 %, die dies tatsächlich erreichen.
- Entscheidend ist vor allem, dass die Berufsausbildung aus den WBM’s ausgelagert wird. Nach der Ausbildung ist der direkte Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt durch Arbeitsberatung und Vermittlung sowie Eingliederungsförderung der Bundesagentur für Arbeit zu verstärken..
- Ein wesentliches Problem sowohl für den Wechsel aus den WBM’s in den ersten Arbeitsmarkt oder den direkten Zugang nach der Berufsausbildung sind der Nachteilsausgleich bei der Rente sowie der Mangel an Arbeitslosenunterstützung/Kurzarbeitergeld. Dieser Nachteilsausgleich bei der Rente ist auch beim Wechsel oder direkten Zugang nach der Ausbildung in den ersten Arbeitsmarkt zu erhalten. Nach dem Arbeitsrecht steht den betroffenen Menschen dann auch Arbeitslosen-bzw. Kurzarbeitergeld zu.
- Verstärkt werden muss die finanzielle und organisatorische Beteiligung der öffentlichen und privaten Arbeitgeber bei der Aufnahme von Menschen mit Behinderungen in die betriebliche Berufsausbildung, Weiterqualifizierung und Arbeit.