SPD im Würgegriff von Hartz IV

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Sieben quälende Jahre sind vergangen, seit der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem medialen Paukenschlag den höchst umstrittenen Paradigmenwechsel zu mehr Druck auf Arbeitslose und Arbeitnehmer proklamierte. Kann sich die SPD aus dem Würgegriff der Kritiker von rechts an ihrer Hartz-Rolle rückwärts sowie derjenigen von links an der Halbherzigkeit ihrer Hartz Korrekturen befreien?

„Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ ist das Motto, mit dem sich die SPD aus ihrem Tief  bei Mitgliedern, Wählern und Umfragen rechtzeitig vor den Wahlen in NRW am 9. Mai befreien will. Sieben quälende Jahre sind vergangen, seit der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem medialen Paukenschlag den höchst umstrittenen Paradigmenwechsel zu mehr Druck auf Arbeitslose und Arbeitnehmer proklamierte. Kann sich die SPD aus dem Würgegriff der Kritiker von rechts an ihrer Hartz-Rolle rückwärts sowie derjenigen von links an der Halbherzigkeit ihrer Hartz Korrekturen befreien? Sie kann es nur, wenn sie jenseits von Taktik und Flügelkämpfen glaubwürdig die Hoffnungen und Sorgen der Menschen zur Leitmaxime ihres politischen Handelns macht. Das heißt:

(1) Natürlich werden sich viele Bürger fragen: Warum ist „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ nicht schon längst  oberstes Handlungsgebot einer Partei, die der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet ist? Und wäre es nicht das Mindeste gewesen, diese Erkenntnisse über notwendige Korrekturen bei der Agenda 2010 bereits vor den letzten Bundestagswahlen den Wählern deutlich zu machen? Vielleicht wäre uns dann der Siegeszug der Westerwelle-FDP und die unwürdigen Hartz-Pöbeleien eines FDP Vizekanzlers und Bundesaußenministers erspart geblieben. Und warum musste erst das Bundesverfassungsgericht der Politik zwei schallende Ohrfeigen mit seinen spektakulären Urteilen zu der Verfassungswidrigkeit der Job Center sowie der Berechnung der Grundsicherung insbesondere für Kinder verpassen, bevor auch die Spitzen der SPD den dringenden Handlungsbedarf an diesen Fronten schreiender Ungerechtigkeiten bei Hartz IV erkennen? Dabei hat Gerhard Schröder vor dem Bundesparteitag der SPD im November 2008 verlauten lassen, seine Agenda 2010 sei keine Bibel. Damals ging es um den erbitterten Streit über die Mini-Verlängerung des von ihm drastisch gekürzten ALG I. Aber auch hier muss gelten: Zur Einsicht und Umkehr ist es nie zu spät.

(2) Viele Korrekturen in diesem Programm sind richtig. Jedoch fragen sich Millionen Menschen, warum sie nicht bereits zu Zeiten der Regierungsbeteiligung der SPD eingebracht und durchgesetzt wurden.

Überfällig ist es, die befristete Beschäftigung wieder zur Ausnahme und die dauerhafte Beschäftigung zum Regelfall zu machen. Die Hartz Gesetze haben Arbeitgebern einen Freibrief erteilt, Arbeitnehmer nur noch befristet  einzustellen. Die dramatischen Konsequenzen: Dies betrifft heute  etwa die Hälfte aller Einstellungen. Dies ist vor allem für jüngere Menschen verheerend, die nicht mehr in der Lage sind, eine Lebensplanung vorzunehmen. Für die schwarz-gelbe Bundesregierung ist dies eine willkommene Vorlage für die geplante weitere Aushöhlung des Kündigungsschutzes.

Genauso wichtig ist die Verlängerung des Bezuges von ALG I mit höherem Lebensalter. Viele Menschen sind zu Recht empört, dass sie auch nach vielen Jahrzehnten harter Arbeit, hoher Beiträge und Steuern nach einem Jahr Bezug von ALG I in die Hartz IV Armutsfalle gezwungen werden, und haben sich von der SPD abgewandt.

Überfällig ist auch  die Reregulierung bei der Leiharbeit: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und die Verpflichtung der Verleihagenturen, Leiharbeitnehmer auch nach Beendigung ihres Auftrages beim Entleiher weiter zu beschäftigen. Durch die Abschaffung dieser selbstverständlichen Verantwortung der Arbeitgeber sind Leiharbeitnehmer buchstäblich zum „Freiwild“ geworden mit Niedrigstlöhnen und hoher Arbeitslosigkeit. Verleihagenturen konnten sich eine goldene Nase verdienen und schossen wie Pilze aus dem Boden.

(3) Bei einigen Vorschlägen wäre jedoch mehr Klarheit notwendig: So ist bei der  Schaffung gemeinnütziger Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose die Abkehr von den ausufernden Ein-Euro-Jobs unabdingbar. Solange nicht klar geregelt ist, dass gemeinnützige Tätigkeiten nur mit tariflichen oder ortsüblichen Löhnen sowie sozialer Sicherung gefördert werden, bleibt dem Missbrauch mit Ein-Euro-Jobs weiterhin Tür und Tor geöffnet. Diese Verschärfung der Hartz IV Spirale nach unten für viele Langzeitarbeitslose muss abgestellt werden.

(4) Leider bleibt der Aufbruch der SPD Spitze zu „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“  auf halbem Wege stecken:

Unverständlich ist, dass die entwürdigenden Regelungen bei der Zumutbarkeit der von Langzeitarbeitslosen anzunehmenden Tätigkeiten nicht in die Korrekturen einbezogen sind. Nach Hartz IV müssen Langzeitarbeitslose jede Arbeit annehmen, die bis zu einem Drittel unterhalb der tariflichen und ortsüblichen Entlohnung, liegt. Dies ist gesetzlich verordnete Armut sowie Lohndumping  für Millionen Menschen.  Es reicht nicht aus, wenn in dem Programm der SPD zu Recht die Forderung des DGB nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50  Euro unterstützt wird. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat bereits sonnenklar gemacht, dass sie hierzu in keinem Fall bereit sein wird. Diese unwürdigen Sanktionen für Langzeitarbeitslose müssen abgeschafft werden. Auch für sie muss gelten: Arbeit zu tariflichen oder ortsüblichen Löhnen.

Völlig unverständlich ist, wie „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ mit 400 Euro Jobs möglich sein soll. Die Hartz Gesetze haben zu einer Explosion der Minijobs auf inzwischen 7 Millionen geführt, zwei Drittel davon für Frauen. Diejenigen, die erst einmal darin gefangen sind, kommen nicht mehr heraus. Wenn es der SPD ernst ist, muss sie diese gesetzlich verordnete Armut bei Arbeit und im Alter schleunigst abschaffen. Sonst macht sie ihr gesamtes arbeitsmarktpolitisches Programm unglaubwürdig.

Ein Ratschlag:  Die Zeit bis zur endgültigen Beschlussfassung auf dem Bundesparteitag Ende September ist zu nutzen, überzeugende Korrekturen an der Agenda 2010  auszuarbeiten, die Millionen betroffener Menschen wieder Hoffnung auf menschwürdige Arbeit geben. Der Vorstoß der SPD Spitze, alle Vermögen anrechnungsfrei zu stellen, nachdem die überfällige Erhöhung des Schonvermögens für die Alterssicherung mit rigoroser Konsequenz jahrelang verworfen wurde, trägt kaum zur Glaubwürdigkeit bei.

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