Offener Brief an Ralf Stegner

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Die TAZ vom Pfingst-Wochenende kommentiert das von der SPD eingebrachte und im Bundestag mit erheblichen Kontroversen durchgeboxte Tarifeinheitsgesetz mit einer eindrucksvollen Karikatur zur „Politik nach Namen“

Nach den bewährten Riesterrente und Hartz 4 kreiert die SPD nun die Lex Weselsky!

Umso größer ist mein Erstaunen über Deine Verteidigungs-Philippika des Tarifeinheitsgesetzes im Deutschlandfunk am 23.Mai. Ist dies das Markenzeichen Eurer Ende letzten Jahres mit großem Öffentlichkeitswirbel ins Leben gerufenen Magdeburger Plattform „Linker Flügel soll wieder schlagen“?

Dass dieses Tarifeinheitsgesetz, versehen mit der Handschrift beider Tarifparteien – Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) – von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles eingebracht wurde, ist ihrer Auffassung von der Rolle als Kabinettsmitglied in der Großen Regierungskoalition geschuldet. Dass maßgebliche Vorsitzende der DGB Gewerkschaften das Tarifeinheitsgesetz befördern, ist aus ihrer Interessenlage als mächtige und erfolgreiche Tarifparteien durchaus nachvollziehbar. Allerdings gibt es hierzu, wie Du sicherlich weißt, unterschiedliche Einschätzungen, wobei gerade die vor allem von der Konkurrenz der Spartengewerkschaften betroffene Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und auch andere kleinere DGB Gewerkschaften eine abweichende Auffassung vertreten.

Tarifeinheitsgesetz als Bumerang

Zu Recht warnen sie vor den negativen Folgewirkungen einer derartigen gesetzlichen Kodifizierung des Tarifrechtes. Wenn erst einmal der grundgesetzlich verbriefte Anspruch auf Tarifautonomie nicht mehr wie bisher durch die Tarifparteien selbst und Richterrecht geregelt werden, sondern durch den Gesetzgeber, ist der Weg in Reglementierungen und Einschränkungen des Streikrechtes nicht mehr weit. Wohin die Reise dann gehen wird, machen die Forderungen aus Wirtschaft und CDU deutlich. Tarifautonomie und Streikrecht sollen eingeschränkt werden- insbesondere durch lange Zeiten der Vorankündigung, Zwangsschlichtungen oder Zulässigkeit von Streiks erst als „Ultima Ratio“. Deine wiederholten Beteuerungen, dies sei mit der SPD nicht zu machen, klingen eher wie das „Pfeifen im Walde“. Wie sollen denn die dafür erforderlichen politischen Mehrheiten innerhalb und außerhalb der SPD in der Zukunft sichergestellt werden? Die Umfragewerte der SPD dürften jedenfalls zu Optimismus wenig Anlass geben.

Dass Du als erklärter Exponent des „linken Flügels“ der SPD in den Chor der Rechtfertigung des Tarifeinheitsgesetzes lautstark einstimmst, lässt mich an der Zukunftsfähigkeit der SPD erheblich zweifeln. Dies gilt insbesondere, wenn Du als besonders wichtig hervorhebst, dass die Gewerkschaften und Arbeitnehmer in den vergangenen fünf Jahrzehnten mit dem Prinzip „Ein Betrieb- eine Gewerkschaft“ bis zur Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit durch das Bundesverfassungsgericht 2010 gut gefahren seien. Außerdem fülle das Tarifeinheitsgesetz eine Gesetzeslücke, wie vom Bundesverfassungsgericht angemahnt.

Erosion der Tarifautonomie

Ich hatte während meiner 25-jährigen Mitgliedschaft im Bundesvorstand der SPD meine Aufgabe auch immer darin gesehen, meinen Beitrag zur Anpassung unserer SPD Politik an die veränderten Wirtschafts- und Sozialbedingungen im Interesse der Arbeitnehmer zu leisten. Dabei ist seit Jahren eine zunehmende Erosion der Tariflandschaft und des Normalarbeitsverhältnisses erfolgt. Auch Tarifautonomie und Tarifpolitik können hieran nicht vorbeigehen. Tarifpluralität kann durchaus hilfreich sein, um Arbeitnehmern in den personenbezogenen Dienstleistungen mit unfairer Entlohnung und Arbeitsbedingungen eine wirksame gewerkschaftspolitische Interessenvertretung zu ermöglichen.

Dem Bundesverfassungsgericht ist somit positiv anzurechnen, dass es mit seiner Entscheidung vom Juni 2010 zur Akzeptanz der Tarifpluralität die Zivilcourage aufgebracht hat, auch auf diese gravierenden Veränderungen zu reagieren. Die bereits angekündigten Klagen verschiedener Gewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz werden die Zweifel an der Politik der SPD eher noch weiter vertiefen.

Dabei sind leider gerade in der rot-grünen Regierungskoalition unter Ex- Bundeskanzler Gerhard Schröder wesentliche Arbeitnehmerrechte durch Riesterrente, Hartz Gesetze und Agenda 2010 unter die Räder geraten. Ich hatte den Eindruck, dass wir in der SPD gemeinsam bemüht waren, erforderliche Korrekturen auf den Weg zu bringen. Die in der Großen Regierungskoalition von der SPD durchgesetzten Rentenpakete sowie der gesetzliche Mindestlohn sind notwendige, wenn auch nicht hinreichende Meilensteine auf diesem steinigen Weg. Vor allem ist es nach wie vor nicht gelungen, die Spaltung der Gesellschaft umzukehren.

Der renommierte Arbeitsrechtler Professor Wolfgang Däubler sieht in diesem Gesetz den „denkbar folgenschwersten Eingriff in Art. 9 GG, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot selbst übertroffen werden würde“. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass mehr Fragen als Antworten entstehen, wenn im Konfliktfall konkurrierender Tarifverhandlungen festgestellt werden soll, wer die Mehrheit der Mitglieder in einer bestimmten Berufsgruppe in einem Betrieb vertritt. Ungeklärt ist zudem, ob es verfassungsgemäß ist, wenn von Beschäftigten die Offenlegung ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft verlangt wird.

Faire Löhne und Arbeitsbedingungen im Dienstleistungsbereich

Wenig überzeugend ist Deine Behauptung, das Tarifeinheitsgesetz sei notwendig, um zu verhindern, dass sich Gewerkschaften untereinander streiten. Dies nütze nur den Arbeitgebern und schade den Arbeitnehmern. Wie die von den Spartengewerkschaften – vom Marburger Bund bis zur Lokführergewerkschaft GdL- mit harten Arbeitskämpfen durchgesetzten Tarifverträge zeigen, ist durchaus eine Verbesserung von Lohnsteigerungen und Arbeitsbedingungen durchgesetzt worden.
Selbst der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellt in seinem Jahresgutachten 2010/2011 fest, dass sich „verschiedene Berufsgruppen von den DGB Gewerkschaften nicht (mehr) hinreichend vertreten „ fühlten, „ wozu der Konzentrationsprozess der Gewerkschaften……beigetragen haben dürfte.“

Dabei mussten und müssen selbstverständlich auch die Spartengewerkschaften lernen, dass trotz der Schlüsselstellung der von ihnen vertretenen Berufsgruppen – seien es Krankenhausärzte, Piloten oder Lokführer – die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Dabei haben sie ganz besonders darauf Rücksicht zu nehmen, dass bei Arbeitskämpfen große Teile der gar nicht unmittelbar beteiligten Bevölkerung betroffen sind. Jedes Überziehen der eigenen Machtansprüche wird nicht nur Verärgerung in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den eigenen Mitgliedern provozieren. Damit müssen sich derzeit auch die GdL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky auseinandersetzen.

Durch das Tarifeinheitsgesetz wird diesen notwendigen Anpassungsprozessen im Interesse vieler Arbeitnehmer in den Dienstleistungsberufen ein Riegel vorgeschoben. Dies erschwert die notwendigen Strukturveränderungen zu fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen in den Dienstleistungsberufen. Hier gibt es jahrzehntelange Nachholbedarfe von der Tarifeinstufung über Lohnstrukturen und Lohnsteigerungen bis zu Arbeitszeiten, Schichtplänen und dem betrieblichen Personalmanagement einschließlich der Qualifizierung und beruflichen Entwicklung. Gerade diese Berufe und die in ihnen Beschäftigten nehmen an Bedeutung erheblich zu. Ausschlaggebend hierfür sind: Globalisierung und Demografie, aber auch Veränderung der Gesellschaft durch Diversifizierung von Bereichen und Formen der Lebensgestaltung. Hier ist die SPD gefordert, geeignete Antworten zu suchen. Dies erfordert auch die notwendige Anpassung im Arbeitsrecht und der Tarifpolitik.

13s Kommentare zu “Offener Brief an Ralf Stegner”

  1. Andreas Sult

    DANKE.
    Mehr braucht man eigentlich nicht zu schreiben.
    Danke Ursula Du hast mir da “voll aus der Seele und dem Herzen” geschrieben.
    Gut das Du Deine Stimme erhebst.
    Dir werden – so hoffe ich – einige zuhören.
    Solidarische, gewerkschaftliche Grüße aus dem Nordosten

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  2. Hans Peters

    Liebe Ursula, vielen Dank für Deine Analyse, die ich voll teile. Allerdings, so befürchte ich, hat sie keine Auswirkung auf diejenigen, die heute die SPD zu repräsentieren meinen. Ähnlich, wie unter Schröder, machen sie die Augen zu und sind beratungsresistent. Bedauerlicherweise haben auch “eigene Abgeordnete” aus dem gewerkschaftlichen Lager zugestimmt. Dieses Gesetz richtet sich in letzter Konsequenz gegen die DGB-Gewerkschaften, auch wenn sie es nicht kapieren. Jetzt wird dem Gesetzgeber, wie Du es beschrieben hast, die Gelegenheit und Möglichkeit gegeben, mit einfachen Gesetzen in unsere Gewerkschaftsfreiheit einzugreifen und sie einzuschränken. Das erinnert an die Zeiten der Weimarer Republik, wo auch der Staat zu Lasten der Arbeitnehmer eingriff, aber die große Aussperrung der Arbeitgeber nicht verhindern und ausschließen konnte. offensichtlich ist der interne Druck innerhalb der SPD-Fraktion so groß, das man klare Entwicklungen negiert oder nicht mehr sehen will. Von daher sind Analysen, wie die von Dir, wichtig, damit hinterher keiner sagen kann, man hätte es nicht besser gewußt. Mit der Zustimmung zu diesem Gesetz macht sich diese SPD politisch überflüssig. Und das ist auch gut so!

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  3. Conny Haß

    Liebe Ursula, danke für diesen Brief, der die richtigen Fragen treffsicher formuliert. Du sprichst mir damit aus dem Herzen. Viele Grüße, Conny Haß

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  4. Regina Stolte

    Liebe Ursula,
    danke für Deine öffentlichen Worte – nie und nimmer hätte ich geglaubt, dass so etwas mit den Stimmen der SPD auf den Weg gebracht wird – auch nicht, dass es dazu zustimmende Worte aus DGB und DGB-Gewerkschaften gibt.
    Ein Betrieb – eine Gewekschaft: das ist zwar optimal für Arbeitnehmer_innen (AN), was die Durchsetzungekraft angeht, aber nur, wenn die AN das aus Überzeugung so hinbekommen – verordnen geht gar nicht. Wenn AN sich solidarisieren kommt das im Idealfall dazu – und wenn alle Interessen nicht unter einen Hut passen: dann werden eben zwei gebraucht…..

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  5. Herbert Hensler

    Ebenfalls Danke an Ursula Engelen Kefer, dass sie ihre Stimme erheben. Leider sind die Linken in der SPD ebenso beratungsresistent wie der Rest des Vereins. Ich habe bei Abgeordnetenwatch nachgeschaut, wer wie abgestimmt hat, Es ist grausig. Otmar Schreiner hat eine nicht ausfüllbare Lücke hinterlassen. Die Linke in der SPD gibt es nicht mehr, zumindest ist sie nicht mehr erkennbar. Noch eine Anmerkung zum DGB: Seit Hofmann neuer Vorsitzender des DGB ist weht aus dieser Ecke auch ein ziemlich lauer Wind.
    Liebe Grüße

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  6. Heinz Greiner

    R. Stegner steht symptomatisch für den Betrug der heutigen SPD an der Normalbevölkerung .
    Gefördert von amerikanischen Institutionen wie so viele in der Politik , ist er keine Sekunde einer Erwerbstätigkeit außerhalb der Politik nachgegangen .
    Sich noch als links zu verkaufen paßt zu den Helden aus Hannover , die die Führung der Partei bilden .
    Wer die wählt , ist selbst schuld .

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  7. Wolfgang Stauch

    Meine Erfahrung allerdings zeigt, dass eher eben nicht auf Stimmen, wie die von Ursula-Engelen-Kefer gehört wird. Leider.

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  8. Kinscher, Günther

    Nach Meinung vieler Verfassungs- und Arbeitsrechtler sind die Chancen sehr hoch, dass das Tarifeinheitsgesetz vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Dies gehört zum politischen Kalkül von BDI, BDA und den “Füchsen” des CDU Wirtschaftsflügels. Sie hoffen dann zum finalen Schlag gegen Gewerkschaften ausholen zu können. Sie werden darauf drängen, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge erheblich ausgeweitet werden. Öffentlicher Verkehr medizinische Versorgung, Bildung, Energie- und Wasserversorgung, Kitas, ja am besten alle Bereiche der Arbeitswelt bis hin zur Toilettenfrau auf der Autobahnraststätte sollen einbezogen werden. Dazu Zwangsschlichtung, lange Ankündigungsfristen und fest definierten Zeiten für Streiks. Es darf dann wahrscheinlich nur am 29. Februar zwischen 2 Uhr und 3 Uhr gestreikt werden, aber auch nur dann, wenn der 29. Februar auf einen Sonntag fällt. Die CDU wird aufs Tempo drücken, denn einen so weich gespülten Koalitionspartner, wie die SPD, bekommt sie so schnell nicht wieder. Und ob dann der DGB Vorsitzende Reiner Hoffmann aus seinem “Dornröschenschlaf” erwacht?

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  9. Peter Boettel

    Ein Glück, dass August Bebel und Willy Brandt dieses Armutszeugnis nicht mehr erleben mussten. Sie wären wohl aus der SPD ausgetreten.
    Kein Kommentar in spd.aktuell hat sich für dieses Gesetz ausgesprochen; und dass ausgerechnet von dieser Partei ein solches Gesetz initiiert wurde, verdeutlicht, wie weit die SPD sich von ihren Zielen entfernt hat. Nicht einmal die FDP hat bei früheren Streiks der GdL sowas angeleiert.
    Wer muss sich dann noch über diese desolaten Wahlergebnisse oder Wahlenthaltungen wundern?

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  10. Patrick Fobian

    Ich bin froh das noch einige SPD Mitglieder sich an die Wurzeln der SPD erinnern. Ich bin in einer Familie von SPD Wählern aufgewachsen und sah mich auch immer der SPD geneigt. Lange zeit wählte ich die Partei, für die mein Großvater noch ins KZ mußte. Ich bin selber Gewerkschafter und fühle mich in den letzten Jahren von der SPD nicht mehr als Wählergruppe gewollt. Was Frau Andrea N. da auf den Weg gebracht hat ist für mich der Funke der das Faß zum Überlaufen brachte. Auch Aussagen von Sigmar G. waren es die mich dazu gebracht haben zu Überlegen wo ich mich denn jetzt Politisch wieder finde. In dieser SPD, der beiden Personen, auf jeden Fall nicht!
    Liebe Ursula, ich bin froh zu lesen das nicht alle in der SPD so denken!

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  11. Roswitha Pauly

    Wieder ein “Sargnagel” mehr für die (einstmals) stolze SPD. Kann die Partei sich das noch leisten? Sie ist zum Erfüllungsgehilfen für Merkel geworden, für mich nicht mehr wählbar. Und nicht nur für mich. Sie hätte besser daran getan in die Opposition zu gehen. Das hätte der Partei ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgebracht; aber die Fleischtöpfe waren wohl zu verlockend; auch um den Preis des weiteren Wählerverrats. Wenn die SPD diesen Weg weiter geht, kann sie sich bei der nächsten BTW schonmal auf die Schuhsohlen 18% malen. Mehr wird es dann nämlich nicht und das zurecht.

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  12. Reiner Peters

    ….es wird wohl nicht mehr lange dauern bis diese SPD verschwunden ist.Ich,der aus einer SPD wählenden Familie kommt,wähle sie schon lange nicht mehr,sie sind einfach nicht mehr sozial eingestellt und jetzt wollen SIE mit Gewalt das Demokratische streichen.
    Eine Partei ist nur so gut,wie ihre Basis.Wann werden die SPDler in den Ortsvereinen endlich wach,wenn Sie sich mit der FDP messen können?
    Auf den Parteitagen muß der gesammte Vorstand zur Ordnung gerufen werden damit wieder sozale und demokratische Politik eingefordert wird,oder,wenn das nicht gewünscht ist,muß man sie zum Teufel schicken.Eigentlich sollte es mir ja egal sein,da ich schon viele Jahre die Linke wähle,aber mit solch einer SPD kann man auch keine Koalition eingehen.

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