Aktionstag „Umfairteilen“ am 29.9.2012

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Der Aktionstag des Bündnisses „Umfairteilen“ am 29.9.2012 war ein ermutigender Auftakt für die Gegenwehr eines breiten Netzwerkes insbesondere von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Attac gegen die Gefährdung des Sozialstaates als Folge der Finanzkrisen. Mit insgesamt etwa 40 000 Teilnehmern fand dieser Aktionstag in zahlreichen Städten der Bundesrepublik statt. Schwerpunkte waren Hamburg, Frankfurt, Köln und Berlin. In Berlin begann der Demonstrationszug mit etwa 5000 Teilnehmern am Potsdamer Platz und endete mit einer eindrucksvollen Kundgebung am Roten Rathaus. Redebeiträge leisteten insbesondere DGB, Naturschutzbund, Volkssolidarität, Diakonisches Werk und Migrantenverband. Ich selbst war für den Sozialverband Deutschland (SoVD) an zweiter Stelle vertreten.

Die aktionistische Kette immer neuer Beschlüsse von Regierungsspitzen der Euroländer – unter Anführung von Deutschland und Frankreich – nehmen die deutschen Steuerbürger bereits mit 2 Billionen Euro in Haft. Dazu gehören die hunderte von Milliarden schweren Rettungsschirme in der Bundesrepublik für die maroden Banken – allen voran die Landesbanken und die Hypo Real Estate; die europäischen Rettungsfonds (EFSM und ESM) mit dem Europäischen Fiskalpakt sowie die zunehmenden finanziellen Verpflichtungen sowohl der Europäischen Zentralbank wie der Deutschen Bundesbank. Nicht nur für die Bürger, sondern auch für Abgeordnete kaum mehr durchschaubar werden mit europäischen juristischen und taktischen Finessen die Finanzspritzen nicht nur in schwindelnde Höhen getrieben, sondern auf verschlungenen Pfaden einer deregulierten Finanzbranche und dabei vor allem den sogenannten „systemrelevanten“ Banken und ihren Top-Managern zugeführt.

Verursacherprinzip für Banken

Die europarechtlichen Grundlagen für die Begrenzung der finanziellen Haftung für die Bundesbürger in den Europäischen Rettungsschirmen sind weitgehend Makulatur. Wie die Erfahrung allein mit den finanziellen Rettungsoperationen für Griechenland zeigt, gehen die deutsch-französischen Regierungsspitzen immer wieder neue finanzielle Verpflichtungen ein und setzen ihre Parlamente für deren Zustimmung unter politischen Druck. Die Nachholung der bisher sträflich vernachlässigten Koordinierung von Fiskal- und Wirtschaftspolitik im EU Fiskalpakt ist praktisch kaum umsetzbar. Zum einen kosten die Verfahren zur Berichterstattung über die nationalen Haushalte sowie die Wirtschaftspolitik lange Zeit; zum anderen ist die Wirksamkeit äußerst begrenzt, solange die nationalen Regierungen weiterhin auch die Kontrollfunktionen erfüllen. Völlig überfordert ist die EZB mit der Überwachung der über 6000 Banken in der EU. Es gilt auch hier das eherne Gesetz: „Keine Krähe hackt einer anderen das Auge aus!“ Ansonsten wäre schon in der Vergangenheit der regelwidrige Anstieg der öffentlichen Verschuldung in den meisten Euroländern -auch in der Bundesrepublik- nicht möglich gewesen. Die grenzenlose Überschuldung einzelner Mitgliedsstaaten hätte sich nicht über Jahre aufbauen können. Die Banken hätten nicht so ungeniert ihre Gewinnsteigerung vorantreiben und die verheerenden Finanzblasen sowie marode Anlage- und Spekulationsgeschäfte betreiben können.

Hier muss endlich ein Stoppschild gesetzt werden. Dies könnte mit dem Netzwerk „Umfairteilen“ in die Wege geleitet werden. Allerdings muss hierzu die Solidaritätsbasis der beteiligten Organisationen verbreitert und in ihrer politischen Schlagkraft erheblich verbessert werden. Handlungsbedarf gibt es mehr als genug: Auf dem Spiel stehen die Zukunft nicht nur unserer finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik und Europa, sondern vor allem uneres Sozialstaates und damit auch der Demokratie insgesamt. Durch die Kürzungsauflagen für die finanziellen Rettungsoperationen sowie die vielfach einseitige Interessenorientierung der Regierungen in den Krisenländern werden Millionen Menschen in Armut und Elend getrieben. Die drastischen Einschränkungen öffentlicher Ausgaben richten sich vor allem auf schmerzhafte Einschnitte bei Sozialleistungen, Löhnen und Bildung sowie der Erhöhung der Verbrauchssteuern für die Masse der Menschen. Die erforderliche Gewährleistung einer gerechten Besteuerung höherer Einkommen, Kapitalerträge und Vermögen unterbleibt vollständig oder wird nur halbherzig umgesetzt. Inzwischen haben die Wohlhabenden und Reichen genügend Zeit, hunderte von Milliarden Euro an der Steuer vorbei in die Steueroasen überall in der Welt zu schaffen und durch die Aufkäufe von Luxusimmobilien sowie sonstigen Gütern dort auch noch die Preise nach oben zu treiben. Dies gilt nicht nur für solch prominente Standorte wie Paris und London, sondern hat inzwischen auch Berlin erfasst. Die Folge eines derartigen mangelhaften politischen Managements der Finanzkrisen in den Euroländern ist die Entwicklung von Wirtschaftsrezessionen, die bereits einen großen Teil Europas erfasst hat. Auch bei uns kommt das sog. zweite Wirtschafts- und Beschäftigungswunder langsam zum Stillstand. Darüber hinaus sind der weitere Sozialabbau infolge der grenzenlosen öffentlichen Verschuldung sowie die „Schuldenbremsen“ in Grundgesetz und Europäischem Fiskalpakt bereits auf dem Weg.

Umverteilen des Vermögens

Dies hat uns gerade der 4. Armuts- und Reichtums Bericht der Bundesregierung mit aller Deutlichkeit vor Augen gehalten. Wenn der private Reichtum vor allem für die obersten Zehntausend in den letzten 20 Jahren auf netto über 7 Billionen Euro angestiegen und gleichzeitig das Nettovermögen der öffentlichen Haushalte um 800 Mrd. Euro gesunken ist, ist eine „Umfairteilung“ unerlässlich. Die vor bald 20 Jahren ausgesetzte Vermögenssteuer ist wieder einzuführen. Erforderlich ist darüber hinaus eine befristete Vermögensabgabe auf hohe Vermögen, um die öffentlichen Schuldenberge abzubauen und eine weitere Zerstörung unseres Sozialstaates zu verhindern.

Auch für die Finanzbranche muss das „Verursacherprinzip“ gelten. Banken und sonstige Finanzinstitute und ihre Gläubiger sind finanziell in die Haftung für die von ihnen zu verantwortenden riesigen finanziellen Verluste zu nehmen. Es gibt weder eine wirtschaftliche noch politische Rechtfertigung dafür, dass sie die Gewinne aus unverantwortlichen Anlagegeschäften und Finanzspekulation bis zum Betrug in die Taschen stecken und der Steuerzahler als Ausfallbürge für ihre Verluste einzutreten hat. Die Regierungen in der Bundesrepublik und Europa sind dafür verantwortlich, dies über die erforderliche Reregulierung und deren wirksame Kontrollen zu gewährleisten. Über die Einführung einer Steuer auf alle Finanzgeschäfte (Finanztransaktionssteuer) sollte nicht nur geredet, sondern endlich gehandelt werden. Vor allem ist die durchsichtige Hin-und-Her-Schieberei der Verantwortlichkeiten von der nationalen auf die europäische und internationale Ebene zu beenden.

Reregulierung auf dem Arbeitsmarkt

„Umfairteilung“ ist jedoch auch bei Beschäftigung und Einkommen dringend erforderlich. Im Armuts- und Reichtums Bericht wird zwar auf die zunehmende Spaltung auf dem Arbeitsmarkt trotz der erheblichen Verbesserung bei der Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit insgesamt verwiesen. Allerdings ist das Bemühen offensichtlich, die tatsächliche Dramatik für Millionen von Menschen und den Sozialstaat unter den Teppich zu kehren. So wird zugegeben, dass die „atypische“ Beschäftigung -vor allem Befristung, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung- seit 2000 von 20 auf etwa 25 Prozent der abhängigen Erwerbstätigen angestiegen ist. Gleichzeitig wird jedoch betont, dass die Anzahl der Normalarbeitsverhältnisse in den letzten 10 Jahren in etwa gleich geblieben ist. Dies ändert nichts an der zunehmenden Spaltung auf dem Arbeitsmarkt zu Lasten der Arbeitnehmer, die in den prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten müssen. Dies wird auch deutlich in dem entsprechenden Anstieg von Niedriglöhnen und Armutsrisiko.

Zitiert wird das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), wonach die Einkommensspreizung insgesamt erheblich zunimmt. Danach haben in den letzten 10 Jahren die unteren 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten reale Einkommensverluste zu verzeichnen, während die oberen Einkommen weiter angestiegen sind. Immerhin wird in dem Bericht dazu festgestellt „Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.“ Leider werden hieraus keine Konsequenzen für notwendiges politisches Handeln zur Eingrenzung der prekären Beschäftigung und damit der Niedriglohnsektoren getroffen. Vielmehr wird immer wieder in dem Bericht darauf verwiesen, dass die Verbesserung bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sowie die Demographie zu Fachkräftemangel führen werden. Damit würden sozusagen automatisch mehr reguläre Arbeitsverhältnisse entstehen, die Risiken von Arbeitslosigkeit und Armut verringert sowie die unteren Einkommen verbessert. Nur leider ist ein  Automatismus weder zu erkennen noch zu erwarten und entlässt die Bundesregierung keinesfalls aus der Verantwortung,  auch eine Reregulierung auf dem Arbeitsmarkt vorzunehmen. Überzeugende Handlungsperspektiven für die Einführung existenzsichernder und fairer flächendeckender Mindestlöhne, „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auch bei Leiharbeit sowie die grundsätzliche Einbeziehung aller Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht sind allerdings nicht zu finden.

Wenig Hoffnung gibt es, dass der für Mitte November angekündigte endgültige Bericht die notwendigen  Handlungsperspektiven enthalten wird. Der FDP Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat schon einmal vorsorglich sein „Veto“ angekündigt.

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