Hartz IV – Test für den Sozialstaat

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Die Reform von Hartz IV droht immer mehr zu einem „Fass ohne Boden“ für annähernd 7 Millionen Menschen, 2,3 Millionen Kinder und jährliche Kosten für die Steuerzahler von etwa 50 Mrd. Euro zu werden. Die von der schwarz-gelben Bundesregierung vorgelegte Reform zur Neuregelung der ALG II Leistungen ist sozialpolitisch beschämend und kann die berufliche sowie gesellschaftliche Integration der betroffenen Menschen kaum verbessern.

Die Reform von Hartz IV droht immer mehr zu einem „Fass ohne Boden“ für annähernd 7 Millionen Menschen, 2,3 Millionen Kinder und jährliche Kosten für die Steuerzahler von etwa 50 Mrd. Euro zu werden. Die von der schwarz-gelben Bundesregierung zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vorgelegte Reform zur Neuregelung der ALG II Leistungen für Erwachsene und insbesondere Kinder ist sozialpolitisch beschämend und kann die berufliche sowie gesellschaftliche Integration der betroffenen Menschen kaum verbessern.

Polit-Poker um Hartz IV

Bei den inzwischen über 1 Billion Euro schweren Stützungsoperationen für notleidende Banken, Wirtschaftskonzerne und Euroländer auf Kosten der deutschen Steuerzahler ist der Poker um die Erhöhung der Grundsicherung um 5 auf 364 Euro im Monat sowie das Bildungspaket für die Kinder von etwa 700 Mio. Euro (einschließlich der Verwaltungskosten) geradezu beschämend. Einen bitteren Vorgeschmack auf die sozialen Konsequenzen der gigantischen öffentlichen Verschuldung haben die Bundesbürger bereits mit den Rekordkürzungen in den Bundeshaushalten 2011 bis 2014  bei der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik erfahren. Eine Fortsetzung erleben sie zum Jahreswechsel mit dem politischen Poker um die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Reform von Hartz IV. Diese unwürdige Posse wurde durch die monatelange Vernebelungs-Taktik von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen um impraktikable Vorschläge zur Einführung einer Chipkarte sowie die Verpflichtung der Job Center für die Kinderleistungen heraus gezögert. Jetzt können noch nicht einmal fristgerecht zum Neuen Jahr die 5 Euro mehr im Monate an die Hartz IV Empfänger sowie das warme Mittagessen, der Sport- und Musikunterricht oder die Nachhilfe an die Kinder geleistet werden. Dafür werden Eltern und Alleinerziehenden sowie ihren Kindern in Hartz IV pünktlich zum Jahresanfang 2011 das Elterngeld von 300 Euro im Monat vollständig gestrichen. ALG I Empfänger, die auf der Armutsspirale in ALG II abrutschen, müssen auf das bisherige Übergangsgeld -für Eltern mit einem Kind immerhin 380 Euro im Monat- verzichten.

Darüber hinaus streitet der Bund auch noch mit Ländern und Kommunen, wer den Zuschlag für das warme Wasser zahlen muss. Zumindest scheint schon einmal klar gestellt, dass Hartz IV Empfänger in Zukunft nicht auf warmes Wasser verzichten müssen. Wenn „warmes Wasser“ nicht mehr in die Regelsätze der Grundsicherung einbezogen ist, muss dies über die Ergänzung der Kosten des Unterhalts, die von den Kommunen zu leisten sind, gezahlt werden. Kommunen und Länder haben schon lautstark gefordert, dass diese Zusatzkosten von etwa 400 Mio. Euro im Jahr durch einen höheren Zuschuss des Bundes für die Kosten des Unterhalts – über die vorgesehenen 24,5 Prozent hinaus- ausgeglichen werden müssen. Frau von der Leyen wäre schlecht beraten, durch Verweigerung zusätzliche Fronten auch in den eigenen politischen Reihen aufzumachen.

Paradigmenwechsel der Politik

Es ist daher höchste Zeit, an das Sozialstaatsgebot in unserem Grundgesetz zu erinnern: Art 20 Absatz 1 Satz 1 postuliert „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat“. Damit sind  Gesetzgeber, Rechtsprechung und Verwaltung verpflichtet, nach sozialen Gesichtspunkten zu handeln. Und in Artikel 14 GG heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“.

Wie uns selbst eher neoliberale Institutionen im In- und Ausland ins politische Stammbuch schreiben, hat sich in erschreckendem Tempo und Ausmaß eine Klassengesellschaft in der Bundesrepublik entwickelt. Die sog. Mitte unserer Gesellschaft mit sicheren Arbeitsplätzen, guten Löhnen, Arbeits- und Sozialbedingungen sowie Aufstiegschancen nimmt ab. Die Zahl der prekär Beschäftigten mit Niedriglöhnen bis zu Armut bei Arbeit und im Alter steigt an.

Die Kernelemente unseres Sozialstaates -Tarifautonomie, Mitbestimmung, arbeitsrechtlicher Schutz, Soziale Sicherheit- können für diese immer größer werdende Gruppe der benachteiligten Menschen auf dem Arbeitsmarkt kaum Hilfe und Schutz bieten. Für sie sind die „Privilegien“ des Sozialstaates eher Ungerechtigkeiten. Sie wenden sich ab und gehen in die Isolation oder suchen sich neue Interessenvertretungen – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich.

Trotz der guten Entwicklung von Konjunktur und Beschäftigung liegt die Bundesrepublik bei dem OECD Index der sozialen Gerechtigkeit weit hinter den skandinavischen Ländern, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Österreich, Kanada und Großbritannien. Das vielbeschworene Beschäftigungswunder -mit einem Drittel der Neueinstellungen über Leiharbeit, prekärer Teilzeitarbeit und niedrigen Löhnen- kommt bei vielen Menschen in Deutschland nicht an.

Die weltweite und inzwischen europäische Finanz- und Wirtschaftskrise führt uns mit aller Deutlichkeit vor Augen: Es geht schon längst nicht mehr um einen „Betriebsunfall“ eines übersteigerten Finanzkapitalismus, der durch Reparaturen wieder behoben werden kann. Es geht vielmehr darum, ob die Kräfte der Selbstzerstörung im  Kapitalismus aufgehalten werden können und eine grundsätzliche Umsteuerung zu seiner sozialen Gestaltung gelingen kann -ob es mithin gelingt, wieder zum Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes zurückzukehren- natürlich unter den veränderten Rahmenbedingungen von Globalisierung, Technischer Entwicklung, Demographie und Veränderungen von Interessen der Menschen und ihrer Lebensformen. Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Reform von Hartz IV ist ein wichtiger „Test“, ob dieser dringend notwendige Paradigmenwechsel in der Politik gelingt.

Nachhaltige Reform von Hartz IV

Mindesterfordernis der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Reform von Hartz IV ist die Transparenz bei der Berechnung der Regelsätze für ALG II – wie bisher auf der Basis von 20Prozent der untersten Einkommensgruppen, und nicht nur 15 Prozent, wie in den Berechnungen der Bundesregierung. Ebenfalls muss das Bildungspaket für Kinder nachgebessert werden. Die Beschäftigung von Sozialarbeitern in allen Schulen ist hierzu eine wichtige Voraussetzung.

Mittel- bis längerfristig ist der Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten mit den erforderlichen Bildungs- und Freizeit- und Kulturangeboten für eine nachhaltige Integration aller Kinder aus benachteiligten Gesellschaftsschichten unerlässlich. Ebenfalls muss der Einstieg in einen existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohn -zumindest in einem ersten Schritt bei der Leiharbeit- gelingen. Die Blockade aus Kreisen der Koalitionsparteien, vor allem der FDP, dies habe nichts mit der Neuregelung von Hartz IV zu tun, zeugen von Ignoranz bis Zynismus. Ohne ausreichende existenzsichernde Löhne wird Hartz IV immer mehr zu einem „Fass ohne Boden“ und einer gigantischen Lohnsubventionierung für die Wirtschaft. Die Leiharbeit mit ihrem überdurchschnittlich hohen Anteil an Hungerlöhnen steht hierbei an oberster Stelle.

Die Überprüfung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen darf nicht dazu missbraucht werden, die von der Bundesregierung in ihren Kürzungspaketen angekündigten drastischen Einschränkungen bei der beruflichen Eingliederung der Langzeitarbeitslosen vorzunehmen. So ist es dringend erforderlich, die seit Jahren „überbordenden“ Ein-Euro-Jobs endlich einzugrenzen. Notwendig ist jedoch gleichzeitig die Ausweitung sinnvoller und existenzsichernder Beschäftigungschancen sowie die dazu erforderliche nachhaltige Qualifizierung und Eingliederung der Betroffenen. Dazu müssen die Beschäftigten in den Job Centern quantitativ und qualitativ überhaupt erst einmal in die Lage versetzt werden. Bei immer noch bis zu 20 Prozent auf lediglich ein Jahr befristeten Stellen ist dies kaum möglich. Die Job Center brauchen daher dringend mehr dauerhafte Stellen. Darüber hinaus würden die mühseligen Bemühungen der vergangenen Jahre zu einer erfolgreichen Teamarbeit zwischen den Beschäftigten aus den Kommunen und Arbeitsagenturen wieder erheblich erschwert, wenn die Mitarbeiter in den Job Center die Umsetzung des Bildungspaktes durchführen müssten.  Ihre schon jetzt sehr begrenzten Möglichkeiten zur erfolgreichen beruflichen Eingliederung der Langzeitarbeitslosen würden damit weiter eingeschränkt. Die Entscheidungen über und Verwaltung von zigtausend Verträgen über Bildungs-, Freizeit- und Unterangeboten für arme und bedürftige Kinder gehören vor allem in die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe der Kommunen. Diese müssen allerdings -vor dem Hintergrund ihrer eskalierenden Finanznot- erst einmal finanziell und personell ausreichend ausgestattet werden. Dabei ist sicherzustellen, dass überhaupt die am meisten bedürftigen Kinder in den Genuss dieser Maßnahmen kommen sowie  Missbräuche, Mitnahmeeffekte bis Betrug durch die Anbieter derartiger Maßnahmen verhindert werden.

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