CDU wirft Mindestlohn-Nebelkerzen

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Bereits wenige Tage nach dem Beschluss zum Mindestlohn auf dem CDU Parteitag am 14. November ist der Streit zwischen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und dem der Wirtschaft nahe stehenden Stellvertretenden CDU Fraktionsvorsitzendenden Michael Fuchs wieder voll entbrannt. Dies beweist einmal mehr die Beliebigkeit des Parteitagsbeschlusses. Danach soll es zwar Lohnuntergrenzen geben, aber nur für die tariffreien Bereiche, nach Regionen und Branchen differenziert werden können und sich an allen zehn bisherigen tariflichen Mindestlöhnen orientieren. Damit wird ein Thema, das die Existenz von Millionen Menschen entscheidend beeinflusst, zu wahltaktischen Zwecken missbraucht.

„Nach dem Parteitag ist vor dem Parteitag!“ Dies gilt zumindest für den umstrittenen Beschluss des CDU Parteitages am 14.November zum Mindestlohn. Damit wird ein Thema, das die Existenz von Millionen Menschen entscheidend beeinflusst, zu wahltaktischen Zwecken eingesetzt. Klug geworden durch die Erfahrung des vorherigen Parteitages in Leipzig 2003 mit seinem neoliberalen Kurs für Pauschalen bei der Einkommenssteuer sowie Krankenversicherung hat sich Frau Merkel diesmal ihr sozialpolitisches „Mäntelchen“ umgehängt.

Zumindest für einige Tage schien es so, als unterstütze sie die Mindestlohninitiative des Arbeitnehmerflügels CDA und ihres Vorsitzenden Karl Josef Laumann. Allerdings währte dies nicht lang: die Gegenoffensive des Wirtschaftsflügels ihrer Partei und der Arbeitgeberverbände führte sehr schnell zu einem Sinneswandel der Kanzlerin. Seither wird das Reizwort „Mindestlohn“ sorgfältig vermieden und stattdessen von einer „Lohnuntergrenze“ gesprochen. Diese soll nach dem Beschluss des Parteitages für tariffreie Bereiche eingeführt, von einer Kommission der Tarifparteien festgelegt, nach Regionen und Branchen differenziert werden und sich an den tariflichen Mindestlöhnen für die bisher einbezogenen zehn Branchen orientieren.  Die von Laumann vorgesehene Ausrichtung der Lohnuntergrenze an den tariflichen Mindestlöhnen in der Leiharbeit -derzeit 7,89 Euro im Westen und 7,01 Euro im Osten- für die er auf dem Parteitag kämpfen wollte, war von Frau Merkel bereits am Vortag  vom Tisch gefegt worden. Für alle Beteiligten CDU Spitzenpolitiker einschließlich Karl-Josef Laumann und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, die ihn bis zuletzt tatkräftig unterstützte, ist der nach außen zur Schau getragene „Frieden“ in der Partei wichtiger als der Mindestlohn.

Erwartungen der Menschen werden bitter enttäuscht

Die mit der öffentlichen Debatte um den Mindestlohn geweckten Erwartungen vieler Millionen Menschen in Niedriglohnsektoren bis zu Armut bei Arbeit werden bitter enttäuscht. Dieser Parteitagsbeschluss wird für sie kaum Verbesserungen bringen. Bereits mit der 2009 geänderten Rechtslage in der Großen Koalition auf Initiative der damaligen Bundesarbeitsminister Franz Müntefering und Olaf Scholz ist die Erleichterung tariflicher Mindestlöhne sowie die Einsetzung einer Kommission der Tarifparteien für die tariffreien Bereiche vorgesehen. Seither hat sich die Durchsetzung tariflicher Mindestlöhne als äußerst zäh erwiesen. Die seit über 5 Jahren verhandelten tariflichen Mindestlöhne der DGB Gewerkschaften für die Leiharbeit sind immer noch nicht allgemeinverbindlich. Die Kommission zur Vereinbarung tariflicher Mindestlöhne in den tariffreien Bereichen unter dem Vorsitz von Klaus von Dohnanyi (SPD) hat einen Anlauf für tarifliche Mindestlöhne für die Call Center mit ihren häufigen Hungerlöhnen gemacht und ist kläglich gescheitert. Völlig unklar ist daher, wieso eine neue Kommission der Tarifparteien -wie vom CDU Parteitag vorgeschlagen- in Zukunft mehr Erfolg haben soll. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wird nicht müde zu betonen, dass Mindestlöhne massenhaft Arbeitsplätze vernichten und er sie strikt ablehnt. Dabei ficht es ihn nicht an, dass Untersuchungen im In- und Ausland hinreichend die Behauptung von der Arbeitsplatzvernichtung widerlegen. Im Gegenteil sind positive Beschäftigungswirkungen infolge der Steigerung der Kaufkraft gerade bei den „Niedriglöhnern“ zu verzeichnen.

Der erneute mediale Schlagabtausch zwischen der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und dem Vertreter des Wirtschaftsflügels, dem stellvertretenden CDU  Fraktionsvorsitzenden Michael Fuchs, zeigt die Beliebigkeit dieses Mindestlohn-Beschlusses. Dabei ist einer der Streitpunkte das Ausmaß der Differenzierung der Lohnuntergrenzen nach Regionen und Branchen. Nach der Interpretation von Fuchs bleibt alles beim „Alten“. Die Folge ist: In gut organisierten Wirtschaftsbereichen wird es den Gewerkschaften auch in Zukunft gelingen, ausreichende Tariflöhne durchzusetzen. Die  Millionen Niedriglöhner in den gering organisierten personenbezogenen Dienstleistungsberufen mit ihren Hungerlöhnen, inhumanen Arbeitsbedingungen und hohem Risiko der Arbeitslosigkeit bleiben erneut auf der Strecke. Es ist nicht einzusehen, woher auf einmal der Sinneswandel der Wirtschaft kommen sollte, sich zu existenzsichernden Mindestlöhnen bereit zu finden. Da gerade hier häufig überhaupt keine tarifbereiten Arbeitgeber zur Verfügung stehen, wäre dies Verantwortung der BDA, die ständig ihre strikte Ablehnung von Mindestlöhnen deutlich macht. Die verschiedentlich geäußerte Vorstellung von Frau von der Leyen, diese Differenzierung der Lohnuntergrenzen nach Regionen und Branchen werde lediglich eine Handvoll Ausnahmen erfassen, ist mehr Wunschdenken als Realität. Für die vielen betroffenen Menschen bedeuten diese Beschwichtigungsversuche weitere bittere Enttäuschungen. Je größer die Vielfalt der Lohnuntergrenzen, desto schwieriger ist zudem die Kontrolle ihrer Durchsetzung. Die Erfahrung mit einheitlichen gesetzlichen Mindestlöhnen in 20 der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union zeigt deutlich: Nur eine verbindliche einheitliche Lohnuntergrenze, die in der Gesellschaft verankert ist, kann auch in der Praxis durchgehalten werden.

Höhe der Lohnuntergrenzen im Nebel

Völlig im Nebel bleibt in dem Parteitags-Beschluss die Höhe der Lohnuntergrenzen. Dies belegt bereits die erhebliche Bandbreite der tariflichen Mindestlöhne für die zehn Branchen zwischen 6,53 Euro im Wach- und Sicherheitsgewerbe für Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und den Osten sowie 13 Euro im Bauhauptgewerbe West. Wie sollen sich zum Beispiel die Gewerkschaften durchsetzen, wenn sie für die mehr als 100 000 Beschäftigten in den Call Centern mit ihren Niedriglöhnen von unter 6 Euro Mindestlöhne von 13 Euro wie im Baubereich durchsetzen wollten. Umgekehrt müssen die Gewerkschaften befürchten, dass ihre hohen tariflichen Mindestlöhne im Baubereich durch die niedrigen Lohnuntergrenzen in anderen Wirtschaftsbereichen nach unten gezogen werden. Dies ist nichts anderes als die Fortsetzung der Strategie verschiedener Bundesregierungen, die inzwischen  auch Angela Merkel gut beherrscht: „Teile und herrsche“. Die Dummen sind dann wieder einmal die betroffenen Menschen in den Niedriglohnsektoren.

Aufschlussreich ist eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung, die aufzeigt, dass angemessene Mindestlöhne zwischen 8,22 Euro und 12,24 Euro liegen müssen. Orientierungsgrenzen sind dabei die gesetzlich festgelegten Pfändungfreigrenzen von 1030,00 Euro; der Lohn ohne weiteren Anspruch auf Hartz IV; 50 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohnes als Armutsschwelle; 60 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes nach der Europäischen Sozialcharta. Wenn der von den Gewerkschaften geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt würde, könnten die Löhne für etwa 5 Millionen Arbeitnehmer/innen angehoben werden. Dies würde die öffentlichen Haushalte pro Jahr um 7,1 Mrd. Euro entlasten – durch weniger Transferleistungen und mehr Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge. „Wer den Mund spitzt, muss auch pfeifen“. Dies gilt auch für die Mindestlohninitiative der CDU. Für die weiteren Verhandlungen über deren konkrete Ausgestaltung gilt: Die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne darf nicht zur wahltaktischen Medienschau verkommen.

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