Rente mit 67: Henne oder Ei – Die schlichte Wahrheit der Ökonomie

Beitrag per E-Mail versenden

Gerade hat sich die SPD Spitze auf einen Kompromiss bei der Rente mit 67 geeinigt. Vorgesehen ist danach ein Aufschub um zunächst drei Jahre und Mindestbedingungen – Erwerbsquote von 50 Prozent und Ausnahme besonders belastender Tätigkeiten – für die Heraufsetzung des Rentenalters. Da melden sich wohlbestallte und hochdotierte Wirtschaftsprofessoren zu Wort, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Gerade hat sich die SPD Spitze auf einen Kompromiss bei der Rente mit 67 geeinigt. Vorgesehen ist danach ein Aufschub um zunächst drei Jahre und Mindestbedingungen – Erwerbsquote von 50 Prozent und Ausnahme besonders belastender Tätigkeiten – für die Heraufsetzung des Rentenalters. Da melden sich wohlbestallte und hochdotierte Wirtschaftsprofessoren zu Wort, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Wenn die Lebenserwartung steigt und die Geburtenzahl sinkt, ist die Heraufsetzung des Rentenalters unausweichlich – lautet ihre einfache Rentenwahrheit. Sonst sei die gesetzliche Alterssicherung nicht mehr zu finanzieren und dies könne gegenüber den jüngeren Generationen nicht verantwortet werden. Der Generationenkonflikt wird vorgeschoben: Kaschiert werden soll der Verteilungskampf der Klassen zwischen Arbeitnehmern mit ihren gesetzlichen Altersrenten, die sie selbst durch ihre Beiträge erworben haben einerseits sowie andererseits den Privilegierten in den oberen Einkommenskategorien in Wirtschaft, öffentlichem Dienst sowie Politik mit ihren Pensionsansprüchen, die auch noch vom Steuerzahler finanziert werden. Und es geht um handfeste Interessen der Finanzbranche, die seit Jahren darauf „gieren“, ein größeres Stück vom Kuchen der umlagefinanzierten gesetzlichen Alterssicherung für ihre Anlage- und Gewinninteressen zu ergattern. Wenn der Staat pro Jahr für die Förderung der privaten Zusatzversorgung auf 12,5 Mrd. Euro an Steuern verzichtet, müssten doch genügend finanzielle Spielräume vorhanden sein, um die Rente bei 65 Jahren zu belassen. Zudem würde die Rente mit 67 gerade einmal eine Entlastung der Beiträge um 0,5 Prozent im Jahr bringen. Dies steht in keinem Verhältnis zur Belastung und Verunsicherung vieler Menschen. Zudem hat die  Politik die gesetzliche Rentenversicherung  über Jahrzehnte mit hunderten von Milliarden Euro für gesamtgesellschaftliche Aufgaben belastet – insbesondere für die Deutsche Renteneinheit und die Frühverrentung. Der steuerliche Ausgleich der durch die Niedriglöhne gesetzlich geschaffenen Rentenlöcher wäre nur ein Stück „Wiedergutmachung“.

Professor Axel Börsch-Supan, Leiter des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel  hat jetzt eine weitere Variante zum Besten gegeben: die Politik – damals die Große Koalition mit Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) -  hätte sich mehr Zeit lassen und ihr Projekt der Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters besser erklären müssen. Erforderlich wäre gewesen, den Menschen klar zu machen, dass das Rentenalter nicht sofort, sondern in Stufen bis zum Jahr 2029 von 65 auf 67 Jahre angehoben werden soll. Bis dahin sei eine Erhöhung des Lebensalters um drei Jahre zu erwarten. Zwei davon müssten bei der Rente mit 67 im verlängerten Arbeitsleben verbracht und zusätzlich ein Jahr könne die gesetzliche Altersrente bezogen werden. Dies entspreche dem Verhältnis von Arbeitsleben und Rentenphase insgesamt und sei daher gut zu begründen.

Dabei ficht es den Ökonomieprofessor und seine Kollegen nicht an: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland sieht und erlebt dies anders  und lehnt die Rente mit 67 nach wie vor ab. Dabei dürfte es nach den langen öffentlichen Debatten kaum jemanden entgangen sein, dass die Heraufsetzung in Stufen von 2012 bis 2020 erfolgen soll. Vielleicht sollte Professor Börsch-Supan und seine Kollegen des Öfteren die Aufklärung durch die Bevölkerung suchen: Er würde kaum jemanden finden, der/die ihm nicht genau vorrechnen können, in welchem Ausmaß (monatsgenau) sie die Heraufsetzung der Altersgrenze treffen wird. Noch mehr würde es ihn wahrscheinlich erstaunen, dass gleichzeitig mit Bitterkeit vorgerechnet wird, wie viel zusätzliche Abschläge von der eh kargen Altersrente noch erfolgen. Den Apologeten der Heraufsetzung des Rentenalters war offenbar bisher nicht zu vermitteln, was es heißt, in der freien Wildbahn der Wirtschaft mit ständig steigenden Leistungsanforderungen und hoher Diskriminierung gegenüber älteren Arbeitnehmern überhaupt bis zum 65. Lebensjahr durchzuhalten. Bei derzeit lediglich 20 bis 10 Prozent Erwerbsbeteiligung der 64- und 65 Jährigen sind 80 bis 90 Prozent der rentennahen Jahrgänge gar nicht mehr beschäftigt. Entweder sind sie bereits in Altersrente mit hohen Abschlägen – derzeit bis 18 Prozent – für den Rest ihres gesamten Lebens oder sie sind in ALG II und müssen sich auf einen Übergang in Niedrig- und Armutsrenten vorbereiten – ebenfalls bis an das Ende ihres Lebens.

Nicht nachvollziehbar ist der Glaube der Spitzen-Ökonomen in Deutschland an die Durchschnittsrechnung für die Aufteilung des Lebens in zwei Drittel Arbeit und ein Drittel Rente. Zum einen schaffen immer weniger Arbeitnehmer durchgängige Erwerbsbiographien mit mindestens Durchschnittseinkommen und Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Die Explosion von Niedriglohnsektoren, prekärer Beschäftigung, Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit und Selbständigkeit häufig am Rande des Existenzminimums sowie Armut bei Arbeit zeigt die Arbeitsrealität von immer mehr Menschen in Deutschland. Zum anderen ist die Lebenserwartung höchst unterschiedlich: Insbesondere Arbeitnehmer mit hohen beruflichen Belastungen – körperlich, seelisch, nervlich – haben ein hohes Risiko von niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen, gesundheitlichen Einschränkungen bis zur Erwerbsminderung, lang anhaltenden und chronischen Krankheiten, hoher und langer Arbeitslosigkeit und schließlich eine erheblich niedrigere Lebenserwartung. Für sie ist selbst bei bester Aufklärung das simple mathematische Schema des Herrn Professor Börsch-Supan  Makulatur. Im Zweifelsfall erreichen viele von ihnen nicht die von Börsch-Supan als Durchschnittswert  in seiner Betrachtungen eingeflossenen Lebensjahre. Bei einer Heraufsetzung des Rentenalters müssen sie zwar die dadurch bedingten zusätzlichen Abschläge hinnehmen, habe aber kaum etwas von dem letzten Drittel der erhöhten Lebenserwartung.

Noch skurriler ist die Kreativität des Ökonomieprofessors bei der Frage, was kommt zuerst – nach dem Motto, Henne oder Ei: die Heraufsetzung des Rentenalters oder die Verbesserung der Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer. Im Übrigen ist das Gesetz hierbei eindeutig: Verlangt wird  von der Bundesregierung bis Ende diesen Jahres und dann alle vier Jahre, ob die Einführung der Rente mit 67 überhaupt aus arbeitsmarkt- und gesundheitlichen Gründen verantwortet werden kann. Nach allen Untersuchungen und Erfahrungen, die auch Ökonomen nicht wegwischen können, sind diese Voraussetzungen in keinem Fall gegeben. Schon danach müsste die Heraufsetzung der Rentenaltersgrenze ab 2012 ausgesetzt werden. Börsch-Supan nimmt dies wie viele seiner Kollegen schlicht nicht zur Kenntnis. Sein Vergleich, Verkehrsschilder würden doch auch nicht erst dann aufgestellt, wenn die Autofahrer bereits langsam und geordnet fahren, wird von vielen Menschen wie Hohn empfunden werden. Dies gilt noch mehr für seine Schlussfolgerung: die Rente mit 67 habe nichts mit Rentenkürzungen zu tun. Als ob das Aufstellen von Verkehrsschildern mit der Sisyphusarbeit einer alters- und alternsgerechten Gestaltung von Arbeitsbedingungen in unserer differenzierten Wirtschaft gleich gesetzt werden könnte. Und als ob nicht für die meisten älteren Menschen, die Heraufsetzung der Rentenaltersgrenze mit zusätzlichen Abschlägen verbunden sein wird.

Hinterlassen sie einen Kommentar

Pflichtfelder *


6 − = drei