„Recht auf Arbeit“ anstelle „Arbeitspflicht“

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Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen und Stellvertretender Vorsitzender der CDU sowie Arno Dübel aus Hamburg, seit 30 Jahren langzeitarbeitslos sorgen für Schlagzeilen – und dies ausgerechnet zum fünfjährigen Geburtstag von Hartz IV.

Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen und Stellvertretender Vorsitzender der CDU sowie Arno Dübel aus Hamburg, seit 30 Jahren Langzeitarbeitslos sorgen für Schlagzeilen – und dies ausgerechnet zum fünfjährigen Geburtstag von Hartz IV.

Koch hat für mediale Aufregung gesorgt, in dem er von Arbeitslosen verlangte, sie müssten zur Arbeit -auch gemeinnütziger Tätigkeiten- herangezogen werden, wenn sie Leistungen vom Staat beziehen. Prompt lief dies durch die Medien als „Arbeitspflicht“ oder noch schlimmer als „Zwangsarbeit“.

Nun ist dies nicht damit abzutun, dass -wie häufig- gerne aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird, um höhere Aufmerksamkeit in dem harten Medienwettbewerb zu erlangen oder einmal wieder nicht sorgfältig recherchiert wurde, was Koch wirklich gesagt hat. Fakt ist, dass eine derartige Androhung schärferen Arbeitsdrucks und härterer  Sanktionen gegenüber Arbeitslosen nicht viel anders bewertet werden kann.

Gerade Roland Koch müsste doch nur allzu genau wissen, dass bereits heute der gesetzliche Druck auf Arbeitslose massiv ist und  eine weitere Verschärfung nur noch eine Arbeitspflicht sein kann, die im Übrigen nach unserem Grundgesetz gar nicht zulässig ist. Nach dem Gesetz zu Hartz IV müssen Langzeitarbeitslose seit 2005 jede Tätigkeit annehmen. Die untere Grenze ist nur durch Sittenwidrigkeit gezogen – d.h. zumutbar sind Tätigkeiten bis zu 30 Prozent unter tariflichen und ortsüblichen Löhnen. Dies hat mit dazu beigetragen, dass wir in der Bundesrepublik bei Ausmaß und Entwicklung  von Niedriglohnsektoren und Armut bei Arbeit gegenüber unseren vergleichbaren europäischen Nachbarstaaten inzwischen die „Rote Laterne“ halten.

Diese gesetzliche Verschärfung ist in dem denkwürdigen nächtlichen Ringen der rot-grünen Bundestagsmehrheit mit der Bundesrats-Mehrheit von CDU/CSU im Vermittlungsausschuss um Hartz IV Mitte 2004 durchgesetzt worden. Roland Koch hat bei diesem Verhandlungspoker   eine maßgebliche Rolle gespielt. Dabei haben sicherlich noch seine Erlebnisse aus einer vorherigen USA Reise nach Wisconsin, USA eine Rolle gespielt, wo Arbeitslose zu gemeinnützigen Tätigkeiten veranlasst wurden. Wie Recherchen in der Zwischenzeit ergaben, hat dieses Experiment zwar erheblichen Druck auf Arbeitslose ausgeübt, jedoch wenig Erfolge bei einer nachhaltigen Eingliederung in existenzsichernde Arbeit im Ersten Arbeitsmarkt erbringen können.

Nicht viel besser sieht es auch mit dem durch Hartz IV verschärften Druck auf Arbeitslose aus. Etwa 600 000 werden pro Jahr durch die sogenannten Ein-Euro-Maßnahmen geschleust. Für einen Teil der Betroffenen ist dies ein dringend notwendiges -wenn auch äußerst geringes- Zubrot zu Hartz IV sowie die Möglichkeit, wieder einer geregelten Tätigkeit nachgehen zu können und der „Tristesse“ des Alltags eines Langzeitarbeitslosen zumindest für einige Zeit zu entkommen. Allerdings ist dies im Allgemeinen nicht von langer Dauer, da sie auch während ihrer Arbeit nicht aus der Hartz IV Falle entkommen und nach einem halben Jahr wieder vor den Toren der Job Center stehen. Wie der Bundesrechnungshof  immer wieder eindringlich warnt, tragen diese Ein-Euro-Jobs zudem zur Streichung vollwertiger Vollzeit- und Teilzeitstellen bei. Die Eingliederung in  nachhaltige  Beschäftigung auf dem Ersten und Zweiten Arbeitsmarkt für die Betroffenen ist sehr gering.

Roland Koch wäre daher gut beraten, an Stelle eines weiteren Anziehens der Daumenschrauben für Arbeitslose dafür zu sorgen, dass genügend öffentliche und private Tätigkeiten für Arbeitslose mit existenzsicherndem Einkommen und sozialer Sicherung angeboten werden. Dies ist die einzig erfolgversprechende Methode um mit „Fördern und Fordern“ -wie es Hartz IV nach dessen eigener erklärter Zielsetzung  legitimieren soll- die nachhaltige Eingliederung der Arbeitslosen in Arbeit zu erreichen.

Unser Grundgesetz sieht freie Berufswahl für alle Staatsbürger vor und dies gilt selbstverständlich auch für Arbeitslose.  An Stelle sie durch noch mehr Druck und Sanktionen nach unten drücken zu wollen, ist im Gegenteil das „Fördern“ zu verstärken. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass  verschiedene Länderverfassungen ein Recht auf Arbeit vorsehen. Natürlich kann der Staat nicht die erforderlichen Arbeitsplätze für die über 2 Millionen erwerbsfähigen arbeitslosen ALG II Empfänger vorhalten. Aber er kann und muss seiner Verpflichtung zur Schaffung ausreichender gemeinnütziger  existenzsichernder Tätigkeit weit besser nachkommen als bisher.

Selbst heute verlangt die Hartz IV Gesetzgebung, dass Langzeitarbeitslosen zunächst gemeinnützige  oder privatwirtschaftliche Tätigkeiten mit tariflichen oder ortsüblichen Löhnen angeboten werden. Diese Verpflichtung  wurde aber durch die Verschärfung der Zumutbarkeit  der von Langzeitarbeitslosen anzunehmenden Tätigkeiten bei Androhung der Streichung ihrer ALG II Leistungen ausgehöhlt. Warum sollte eine Kommune oder ein sonstiger Arbeitgeber, Langzeitarbeitslose zu existenzsichernden Löhnen einstellen, wenn Sie ihm zu Stundensätzen zwischen 1Euro bis 1Euro 50 angeboten werden und dann noch bis zu 500 Euro zusätzlich gezahlt werden können. Warum sollte ein JobCenter Mühen und Kosten aufwenden, Langzeitarbeitslose in existenzsichernde Tätigkeiten einzugliedern, wenn sie einfacher und billiger in Ein-Euro Jobs  zu vermitteln sind? Es wäre gut, wenn die derzeitigen vollmundigen  Erklärungen von Politikern aller Couleur zu Reformen von Hartz IV dazu führen, dass die Verpflichtung des Staates zur nachhaltigen Eingliederung  Arbeitsloser in den Mittelpunkt der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik  gerückt wird.

Der Vorstoß von  Roland Koch, die Daumenschrauben für Arbeitslose noch mehr anzuziehen gehört in die Kategorie „politische Blindgänger“ – wäre da nicht Arno Dübel- inzwischen ein langzeitarbeitsloser Medienstar aus Hamburg:  Ob am 12.Januar bei Maischberger, am 24. Januar bei Anne Will, am 26. Januar in der Münchner Runde, auf der Titelseite der Bild-Zeitung, demnächst  in weiteren TV Shows – überall verkündet  Dübel einem Millionenpublikum seine Botschaft: Warum arbeiten, solange es Hartz IV gibt. Dabei betont er, dass er als „Single“ keine weiteren Verpflichtungen hat und sich mit aller Bescheidenheit seit 30 Jahren auf ein Leben in Langzeitarbeitslosigkeit mit öffentlichen Transfers und seit 2005 auf Hartz IV eingerichtet hat. Nun ist Arno Dübel sicherlich ein bedauernswerter Einzelfall der Marginalisierung von Menschen in unserer Leistungsgesellschaft. Vielleicht kann es auch zur Hoffnung Anlass geben, wenn er am Ende der Münchner Runde -auch öffentlichkeitswirksam- betont, jetzt ernsthaft zu prüfen, ob er eine Arbeit annehmen soll und dabei um Unterstützung bittet. Allerdings ist er nach seinen Auftritten in den Medien schon längst keine Einzelperson mehr, sondern eine Symbol-Figur. Es erinnert an „Florida Rolf“,  der schon vor Jahren durch die Medien geisterte. Die öffentliche Empörung  war groß, wieso sich Langzeitarbeitslose  einen Aufenthalt im sonnigen Florida leisten konnten, während viele Arbeitnehmer malochen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, und an einen Urlaub in Florida nicht denken können. Ende der 1970er Jahre war dies die Lehrerin, die auf Kosten der Bundesanstalt für Arbeit zur Reitlehrerin umschulte. Mit diesem exotischen Beispiel, das durch die Medien getrieben wurde, konnte der politische Boden für die Einschränkung der öffentlichen Förderung der beruflichen Umschulung eingeläutet werden.

Diese medial hochgespielten Fälle des vermuteten oder tatsächlichen Missbrauchs öffentlicher Leistungen wurden besonders gerne von denjenigen Kräften in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft herangezogen, denen der Sozialstaat sowieso ein Dorn im Auge ist, und die die solidarische gesetzliche Sozialversicherung reduzieren wollen. Teilweise sind sie interessiert an einem weiteren Druck auf die Löhne, teilweise wollen sie die Kosten für die sozialen Sicherungssysteme verringern. Natürlich gibt es auch genügend Lobbyisten der privaten Finanzindustrie, die einfach ein größeres Stück vom Kuchen der Versicherung der Lebensrisiken abbekommen wollen.

Bleibt nur zu hoffen, dass die derzeitige erstaunlich große und breite Aufmerksamkeit für Arno Dübel in den Medien nicht auch von denjenigen Kräften befördert und missbraucht wird, die eine neue Runde der Sparmaßnahmen in der sozialen Sicherung und zuvörderst bei den Hartz IV Leistungen einleiten wollen. Das Bundesverfassungsgericht könnte ihnen in seinem mit großer Spannung erwarteten Urteil zu Hartz IV – Höhe der Grundsicherung sowie Kinderzuschläge – am 9. Februar einen Strich durch die Rechnung machen. Oder sollte der Medienstar Arno Dübel geradezu als „Menetekel“ für die Richter des Bundesverfassungsgerichts sowie die vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen Reform- und spendierbereiten Politiker aufgebaut werden?

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