Die wundersame Volte der Bundesbank

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Für Gewerkschafter- ob innerhalb oder außerhalb offizieller Funktionen- ist es schon eine wundersame Volte, wenn der Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, Jens Ulbrich, höhere Lohnabschlüsse empfiehlt. Jahrzehntelang hat die Bundesbank den Chor  des neoliberalen Credos einer moderaten Lohnpolitik unterstützt. Zu verstehen waren darunter Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate. Nur dann wären Unternehmen bereit zu investieren und somit Wirtschaftswachstum sowie Beschäftigung zu steigern. Dass davon in der realen Welt nichts zu spüren war, hat die  neoliberalen Apologeten nicht angefochten.

Vielmehr ist dies seit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit zunächst in den 1980er Jahren in den alten Bundesländern, und nach dem kurzen Wiedervereinigungsboom seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland Ost und West, vorherrschende Ideologie in Ökonomie und Politik. Damit wurde nicht nur die Lohnpolitik der Gewerkschaften immer wieder gemaßregelt – teilweise bis zur Schmerzgrenze der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie- sondern auch der kontinuierliche Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen, Leistungen und Regulierungen begründet. Seinen Höhepunkt erreichte dieses neoliberale Credo mit den Rentenreformen von Riester und Rürup sowie den Hartz Gesetzen, der Agenda 2010 und der Rente mit 67.

Die dieser Politik zugrundliegende ökonomische Philosophie des Zusammenhangs zwischen Lohnhöhe bzw. Arbeitskosten einerseits und Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit andererseits wurde von der Bundesbank immer unterstützt, auch wenn sie damit häufig ihre Kompetenz für die Geldpolitik bis an die Grenzen und teilweise darüber hinaus dehnte. Dies galt noch bis zum vergangenen Jahr. Besonders misslich war für die Gewerkschaften, dass derartige öffentlichkeitswirksame Äußerungen gerade auch von Seiten der Bundesbank verschiedentlich vor tarifpolitischen Auseinandersetzungen vor allem der IG Metall sowie von Verdi erfolgten.

So ist es eher wie die Angst vor der eigenen Courage, wenn die Bundesbank bei ihrem jetzigen Eintreten für höhere Lohnabschlüsse die moderate Lohnpolitik der Vergangenheit lobt und  für sich in Anspruch nimmt, durchaus  konsistent zu sein: Bei niedriger Arbeitslosigkeit seien höhere Lohnabschlüsse folgerichtig und für die in der EU Währungsunion angestrebte Preissteigerungsrate erforderlich. Zudem könnten damit die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte der anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik vor allem im Vergleich zu den Krisenländern verringert werden.

Schade nur, dass diese Erkenntnisse der Bundesbank erst so spät kommen. Seit mindestens 20 Jahren haben die Menschen in der Bundesrepublik leidvoll erleben müssen, dass moderate Löhne und Sozialabbau ihre Lebenssituation verschlechtert sowie die Spaltung in Wirtschaft und Gesellschaft erheblich vergrößert haben. Während in der Bundesrepublik die Löhne seit 2000 in etwa stagniert haben und in einigen Jahren sogar gesunken sind, erfolgten  in anderen Euroländern Lohnsteigerungen bis zu 30 Prozent. Leider sind die gewaltigen Leistungsbilanzüberschüsse in Deutschland nur zu einem geringen Teil in in- und ausländische reale Investitionen geflossen. Vielmehr bestehen gerade bei öffentlichen Investitionen sowohl gegenüber anderen vergleichbaren EU Ländern wie auch gemessen an der Entwicklung in der Vergangenheit erhebliche Defizite. Leidtragende sind die große Mehrzahl der Bürger, aber auch kleinere und mittlere Betriebe, die auf funktionsfähige öffentliche Infrastruktur dringend angewiesen sind.

Dafür wurden hunderte von Milliarden Euro, die von den Arbeitnehmern erwirtschaftet, aber nicht über Lohnsteigerungen weitergegeben wurden,  in marode Anlagen auf den internationalen Kapitalmärkten angelegt. Damit wurden die Finanzkrisen seit der Lehmann pleite 2008 verschärft und sie sind  zum großen Teil buchstäblich verbrannt worden. Die deutschen Steuerzahler werden über Generationen für die in den nationalen, europäischen und internationalen Finanzkrisen aufgehäuften Schuldenberge haften und teilweise auch zahlen müssen. Die Menschen in der Bundesrepublik sowie in den übrigen Euro- und EU Ländern, vor allem den Krisenstaaten, wären erheblich besser gefahren, wenn der Zusammenhang zwischen Lohnpolitik und Binnenkonjunktur rechtzeitig erkannt und anerkannt worden wäre. Dazu hätte die Bundesbank ihren Anteil leisten können. Aber bekanntlich ist es nie zu spät, eine bessere Einsicht zu haben und mit der notwendigen Zivilcourage auch zu vertreten.

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