Fachtagung „Ohne Alternative – arm, ärmer, alleinerziehend?“

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Bei der diesjährigen Fachtagung des VAMV ging es um die wachsende Armut bei Alleinerziehenden. Wie der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung eindrucksvoll deutlich macht, haben Alleinerziehende und ihre Kinder mit 40 Prozent nach wie vor das bei weitem größte Armutsrisiko aller Haushalte.  Sie sind mithin doppelt so stark gefährdet in Langzeitarmut zu leben wie im Bevölkerungsschnitt. Der 2008 begonnene und 2011 veröffentlichte Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hebt hervor, dass vielfältige Ereignisse und Entscheidungen im Lebensverlauf dazu beitragen – vor allem soweit sie Einfluss auf Erwerbstätigkeit, Einkommen und Soziale Sicherheit haben. Entsprechend vielfältig sind auch die politischen Ansatzpunkte zur Bekämpfung des Armutsrisikos und Verbesserung der Arbeits- und Lebenschancen von Alleinerziehenden und deren Kindern.

Bilanz des Lebensverlaufs: Alterssicherung bei Alleinerziehenden

Kumulierung von Nachteilen in Erwerbstätigkeit und Alterssicherung

Nach amtlichen Angaben leben derzeit etwa 400 000 Rentner/innen in Armut. Dabei dürfte die Dunkelziffer derjenigen, die aus Scham oder sonstigen Gründen keine Grundsicherungsleistungen der Sozialämter in Anspruch nehmen noch einmal so hoch sein. Ihre Zahl wird ebenfalls nach amtlichen Berichten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch steigen. Besonders betroffen sind Langzeitarbeitslose, prekär Beschäftigte mit Niedriglöhnen bis Armut bei Arbeit, Frauen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien und niedrigen Einkommen.

Häufig liegt hier eine Kumulation verschiedener Nachteilsmerkmale vor, die sich vor allem auf  Frauen konzentrieren. So haben Frauen infolge ihrer Verantwortung für die Familientätigkeit, Kindererziehung und familiären Pflegeleistungen durchbrochene Erwerbsbiographien, arbeiten  vielfach in Teilzeit mit entsprechend niedrigem Gehalt; ihre Lohnlücke gegenüber den Männern beträgt immer noch etwa 23 Prozent – bis in die wissenschaftlichen technischen und Managementberufe hinein.

Eine der maßgeblichen Erscheinungsformen ihrer Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt ist ihr hoher Anteil in den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, den sog. Mini- oder 450 Euro Jobs – ohne die gesetzliche Verpflichtung eigener Beiträge und Ansprüche an die Sozialversicherung. Von den insgesamt 7,4 Millionen Minijobber sind etwa zwei Drittel Frauen – mithin über 5 Millionen oder etwa ein Viertel bis ein Drittel aller abhängig beschäftigten Frauen (unter Abzug von Studentinnen, Schülern und Ehefrauen in gut situierten Partnerschaften).

Entsprechend haben Frauen im EU-Vergleich bei der Erwerbsbeteiligung aufgeholt und liegen deutlich über dem EU-Durchschnitt. Bei der Arbeitszeit pro weibliche Beschäftigte hält die Bundesrepublik allerdings in Europa „die rote Laterne“. In keinem anderen EU-Land gibt es eine vergleichsweise ähnlich gravierende Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben wie in der Bundesrepublik durch die gesetzlich zugelassene und 2003 deregulierte geringfügige Beschäftigung.

Eine weitere Stufe der Kumulierung dieser Beschäftigungsnachteile von Frauen betrifft die Alleinerziehenden – wiederum zum weit überwiegenden Teil Frauen. Ihre gravierenden Nachteile im Erwerbsleben können auch im Allgemeinen nicht durch eine spätere Verbesserung ihrer Erwerbssituation und/oder Veränderung ihres Lebensmusters durch erstmaliges oder erneutes Eingehen einer Partnerschaft behoben werden. Hinzu kommen zudem weitere Nachteile  -  insbesondere aus dem Sozialversicherungsrecht, das sich an der Erwerbstätigkeit und Einkommenshöhe orientiert; dem Steuerrecht durch die massive Privilegierung des Steuersplitting,  ihren Nachteilen in Unterhaltsrecht und Unterhaltspraxis; den Bedürftigkeitsregelungen im Sozialrecht (vor allem Hartz IV); den gravierenden Defiziten in der Infrastruktur bei Betreuung, Erziehung, Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen und letztlich den offenen und verdeckten Diskriminierungen bei Bildung, Ausbildung, Arbeit und in der Gesellschaft insgesamt. Die bitteren Folgen für die weit überdurchschnittliche Armut und Armutsgefährdung Alleinerziehender und ihrer Kinder ist in dem jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung  deutlich geworden. Der VAMV hat hierzu bereits eingehend Stellung bezogen.

Handlungsoptionen

Im Folgenden sollen einige Überlegungen angestellt werden,  wie die Alterssicherung von Frauen und insbesondere Alleinerziehenden verbessert werden kann und muss.

Die Rentenleistungen sind  im Zuge des Sozialabbaus seit Jahren eingeschränkt worden: insbesondere durch Abbau von Anrechnungszeiten, vorzeitigem Renteneintritt infolge hoher Arbeitslosigkeit – und vor allem durch den Paradigmenwechsel in der Riester Reform von 2001 mit dem Ersatz der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch kapitalgedeckte Altersvorsorge.  Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass bereits 2007 knapp zehn Prozent der Bevölkerung -mithin etwa 8 Millionen- als „Einkommensarrme“ ohne Vermögen ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Von 2001 bis 2030 wird das Rentenniveau aus der gesetzlichen Alterssicherung (Netto vor Steuern) von 53 auf etwa 43 Prozent sinken – mithin 18,9 Prozent. Verschärft wird dies durch die ab 1.1.2012 begonnene Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters bis 2029 von 65 auf 67 Jahre. Für viele ältere Menschen wird dies unwürdige Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung sowie weitere lebenslange Abschläge von ihren Altersrenten bedeuten und damit das Risiko der Altersarmut erhöhen.

Dass die Rentenmodelle -ob Zuschuss- oder Lebensleistungsrente-  zur Bekämpfung der Altersarmut von Bundesarbeitsministerin von der Leyen, aber auch die Solidarrente der SPD nicht ausreichen, ist bereits hinreichend deutlich gemacht worden. Die vorgeschlagene Aufstockung von Niedrigrenten für langjährig Versicherte auf 850 Euro im Monat klingt zwar verlockend. Allerdings ist sie mit so hohen Bedingungen versehen, dass sie die von Altersarmut Betroffenen und Bedrohten kaum in Anspruch nehmen können. Dies gilt ganz besonders für die Alleinerziehenden, da sie infolge ihrer alleinigen Verantwortung für die Betreuung und Erziehung der Kinder ihre Erwerbstätigkeit nicht konsequent verfolgen können.

Mit dem geforderten Nachweis einer Riesterrente in den Modellen der Bundesarbeitsministerin – wenn auch über mehrere Jahre stufenweise gestaffelt – wird die „Katze aus dem Sack“ gelassen. Die Zuschuss- bzw. Lebensleistungsrente soll somit  zum Vehikel, werden, um ausgerechnet die Geringverdiener mit Armutsrenten in die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu treiben. Dabei gibt selbst das Bundesarbeitsministerium zu, dass der Verbraucherschutz bei dieser privaten Kapitalanlage zur Altersvorsorge keinesfalls ausreicht. Dies ist bereits seit 10 Jahren bekannt und bis heute nicht abgestellt. Leidtragende sind vor allem die Menschen, die auf  jeden Cent ihrer Beiträge und Rentenleistungen angewiesen sind und am wenigsten die hohen Belastungen mit Gebühren sowie die Risiken bei den späteren Rentenleistungen durchschauen. Dies gilt wiederum an vorderster Stelle für die Alleinerziehende. Zudem machen die rigorosen Anrechnungsvorschriften bei der Bedürftigkeitesprüfung die mühselig ersparten Rücklagen für die Alterssicherung zunichte. Es droht mithin nicht nur das Armutsrisiko bei Arbeit, sondern auch im Alter.

Dringend erforderlich sind erheblich grundsätzlichere und weitreichendere Veränderungen in der gesetzlichen Altersrente – sozusagen ein „Paradigmenwechsel“ rückwärts.

- Vordringlich ist die Wiederherstellung der dynamischen lohnbezogenen Altersrente durch die vollständige Streichung jeglicher weiterer Absenkungen des Rentenniveaus und darüber hinaus Wiederherstellung des Rentenniveaus auf den Stand vor der Einführung der Riesterrente.

- Zusätzlich müssen die zunehmenden Preissteigerungen bei den Rentenleistungen berücksichtigt werden. Durch die jahrelange Stagnation oder nur geringfügige Erhöhung der Rentenleistungen haben Rentner/innen in den letzten 10 Jahren bereits einen Kaufkraftverlust von etwa 10 Prozent hinnehmen müssen. Bei Durchschnittsrenten für Männer unter 950 Euro und für Frauen unter 550 Euro ist dies ein gravierender Aderlass für die Sicherung ihrer Lebensexistenz.

- Für die Alleinerziehenden ist ein finanzieller Ausgleich aus Bundessteuern dafür zu bieten, dass sie infolge der Einschränkung ihrer Erwerbsarbeit für Erziehungsleistungen einen wesentlichen Beitrag für die zukünftige Finanzierung auch der gesetzlichen Rentenversicherung leisten. Dies wäre eine weit bessere und zielgerichtete Bekämpfung der Altersarmut als unausgegorene Zuschussrenten-, Lebensleistungsrenten- oder Solidarrentenmodelle.

Nicht zugkräftig sind die Argumente der „Alternativlosigkeit“ derartiger Einschränkungen bei den Rentenleistungen aus finanziellen Gründen. Natürlich muss die Belastung der Beitragszahler für die gesetzliche Altersrente in Grenzen gehalten werden. Allerdings geht es immer um eine gerechte Balance zwischen der Entwicklung der Rentenbeiträge und der späteren Rentenleistungen.

Das ungerechte Ehegattensplitting sowie das umstrittene Betreuungsgeld bieten erhebliche Spielräume, die genutzt werden könnten, um die Rentenleistungen von Alleinerziehenden für ihre besonderen Erziehungsleistungen aufzustocken.

Die erfreuliche Verbesserung der Rücklagen bei der gesetzlichen Rentenversicherung hätte die Möglichkeit gegeben, zumindest einen Teil der notwendigen Verbesserungen zu finanzieren. Allerdings hätten dann die Senkung der Beitragssätze auf 19,1 Prozent unterbleiben und dafür die Rentenleistungen wieder angehoben werden müssen.

Überfällig ist zudem die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung von einer Arbeitnehmer- zu einer Erwerbstätigenversicherung. Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, dass nicht alle Erwerbstätigen in die Solidarität der gesetzlichen Altersvorsorge einbezogen werden. Dabei ist auch die Deckelung der Beitragsbemessung in Frage zu stellen. Gerade auch die hohen Einkommen  müssen ihren Beitrag zur Solidarität der gesetzlichen Rentenversicherung leisten.

Entscheidend ist weiterhin die Reregulierung auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem die Explosion der Niedriglohnsektoren auf über 20 Prozent der Beschäftigten und der geringfügigen Teilzeitbeschäftigung auf über 7 Millionen Menschen entziehen der gesetzlichen Sozialversicherung und damit auch der Rentenversicherung jährlich Milliarden Euro an Beitragseinnahmen. Erhöht wird dieser Einkommensausfall durch die vollständige Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose im Rahmen des Sparpakets der Bundesregierung zur Rettung der Banken. Diese Einnahmeausfälle bei der gesetzlichen Sozial- und Rentenversicherung sind „hausgemacht“ und können daher auch durch gesetzliche Korrekturen wieder behoben werden. Dazu gehören ein gesetzlicher Mindestlohn nicht unter 8,50 Euro genauso wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der boomenden Leiharbeit und die Einbeziehung grundsätzlich aller Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht.

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