Deutsches Beschäftigungswunder – Fakt oder Mythos

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Noch bis vor wenigen Jahren galt die Bundesrepublik als „kranker Mann des alten sklerotischen Europa“. Inzwischen ist sie zur viel bewunderten und teilweise auch beneideten Insel  eines neuen Beschäftigungswunders inmitten einer von steigender Arbeitslosigkeit betroffenen Europäischen Union aufgestiegen. Häufig wird dies  auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zurückgeführt und dies auch als Patentrezept für die südeuropäischen Krisenländer der EU (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien) empfohlen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass ein vielfältiges Spektrum an Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und Beschäftigung einbezogen werden muss. Besonders plastisch lässt sich dies am Beispiel der Region Regensburg darstellen.

Noch bis vor wenigen Jahren galt die Bundesrepublik als „kranker Mann des alten sklerotischen Europa“. Inzwischen ist sie zur viel bewunderten und teilweise auch beneideten Insel  eines neuen Beschäftigungswunders inmitten einer von steigender Arbeitslosigkeit betroffenen Europäischen Union aufgestiegen. Häufig wird dies auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zurückgeführt und dies auch als Patentrezept für die südeuropäischen Krisenländer der EU (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien) empfohlen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass ein vielfältiges Spektrum an Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und Beschäftigung einbezogen werden muss. Besonders plastisch lässt sich dies am Beispiel der Region Regensburg darstellen.

 Nach mehr als zwei Jahrzehnten in einer geographischen und wirtschaftlichen Randlage ist dies inzwischen eine Boomregion: Die Beschäftigung ist in den letzten 10 Jahren doppelt so stark gewachsen wie in dem wirtschaftsstarken Bundesland Bayern und mehr als sechsmal so stark wie im Bundesgebiet insgesamt. Regensburg ist – um mit den Worten der Arbeitsagentur zu sprechen – eine „High Tech Landschaft im demographischen Wandel“ und für junge Menschen besonders attraktiv, denn der Ausbildungsmarkt bleibt „Bewerbermarkt“. Natürlich hat zum wirtschaftlichen Erfolg von Regensburg die Ansiedlung eines Werkes der BMW AG beigetragen. Zum 25-jährigen Jubiläum am 10. November 2011 lobte Produktionsvorstand Frank-Peter Arndt „…Regensburg zeichne sich durch einen besonderen Pioniergeist aus, … zum Beispiel das innovative Arbeitszeitmodell, das … wegweisend wurde für die gesamte Automobilindustrie oder auch, dass die umweltfreundlichste Lackiererei der Welt in Regensburg stehe.“ Der wirtschaftliche Erfolg in Regensburg steht für das „Zweite Deutsche Beschäftigungswunder“ seit dem Zweiten Weltkrieg – trotz der seit 2008 eskalierenden Finanzkrisen auf weltweiter Ebene und in der Europäischen Union. Es ist mithin zu fragen: Welches sind die Erfolgsfaktoren? Werden sie auch in Zeiten der  Krisen in den Euroländern Bestand haben? Können sie für andere Euroländer und die EU insgesamt Wegmarken bieten.

 Erfolgsfaktor Nr.1: Sektoral und regional ausgewogene Wirtschaftsstruktur

Zunächst ist festzustellen: Die Erweiterung der Europäischen Union nach Mittel- und Osteuropa ab 2004 hat einen maßgeblichen Einfluss. Gerade die Ostregionen in Bayern sind damit aus der Randlage in Europa ins Mittelfeld gerückt. Damit haben sich auch die Chancen der wirtschaftlichen Entwicklung erheblich verbessert. Aber Regensburg ist nicht überall! Nach wie vor sind viele Regionen in der ehemaligen DDR an der Grenze zu Mittel- und Osteuropa von wirtschaftlichem Niedergang, unterdurchschnittlicher Produktivität sowie Exportorientierung, hoher Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen bis Armut und Abwanderungen der jüngeren und qualifizierten Menschen geprägt. Sie haben bisher in Wirtschaft und Beschäftigung kaum noch von der Erweiterung der EU profitieren können. Vor allem fehlen ihnen wesentliche traditionelle Erfolgsfaktoren einer solchen Boomregion wie Regensburg – insbesondere die Entwicklung einer sektoral und regional ausgewogenen Wirtschaftsstruktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben; der Produktion in Industrie und Handwerk; öffentlichen und privaten Dienstleistungen im unternehmens- und personenbezogenen Bereich.

 Erfolgsfaktor 2: Betriebliche Berufsbildung

Als ein Schlüsselfaktor für die außergewöhnlich niedrige Arbeitslosigkeit junger Menschen in der Bundesrepublik wird immer wieder auf die in der Bundesrepublik einmalige Tradition der Berufsbildung verwiesen. Ohne Zweifel führt die Kombination von praktischer Berufsbildung im Betrieb mit der Ergänzung durch Berufsschulunterricht am ehesten zu einer praxisnahen Ausbildung und die berufliche Eingliederung  der jungen Menschen wird erheblich erleichtert.

So zeigen auch die Vergleiche in der EU, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern mit einer betrieblichen Berufsausbildung erheblich niedriger ist als in den übrigen Mitgliedsstaaten mit vorwiegend schulisch ausgerichteten beruflichen Bildungssystemen. Dies gilt vor allem für Österreich, Dänemark, Finnland, Luxemburg und die Niederlande.

 Dabei ist auch in der Bundesrepublik längst nicht alles Gold, was glänzt. Im Zuge der Rationalisierung der Wirtschaft ist auch die betriebliche Berufsbildung teilweise den Programmen zur Kostenreduzierung zum Opfer gefallen. So unterhalten in der Bundesrepublik nicht einmal 25 Prozent der Betriebe eine betriebliche Berufsbildung. Besonders schwer hatten es in den vergangenen Jahren junge Menschen mit mittelmäßigen bis schlechten Schulabschlüssen, da Unternehmen in der Lage waren, unter den jungen Menschen eine „Bestenauslese“ zu betreiben. Junge Menschen aus sozial schwachen Elternhäusern, mit Migrationshintergrund oder mit einer Behinderung haben ebenfalls schlechtere Chancen auf eine betriebliche Berufsbildung. Auch für Absolventen von Hauptschulen, teilweise sogar Realschulen war es häufig schwierig, eine Berufsbildungsstelle zu erhalten, solange Absolventen weiterführender Bildungswege zur Verfügung standen.  Schwer hatten es ebenfalls junge Mädchen an die begehrten betrieblichen Berufsbildungsstellen in attraktiven Ausbildungsberufen sowie größeren Betrieben unter zu kommen. Hinzu kommt die immer noch einseitige Berufswahl weniger frauentypischer Berufe mit geringen Einkommens- und Aufstiegschancen – wie: Floristin, Zahnarzthelferin, Friseuse, Bürokauffrau, Verkäuferin.

Als Folge sind immer noch viele Jugendliche in den sogenannten Warteschleifen seien es schulische „Umwege“ sowie massive Förderprogramme der Bundesagentur für Arbeit zur Vorbereitung und Förderung der Eingliederung junger Menschen -vielfach mit Beschäftigungsnachteilen und Behinderungen- in die betriebliche Berufsbildung – bis zum Nachholen des Hauptschulabschlusses. Schwer nachvollziehbar ist daher, wenn jetzt infolge des demographisch bedingten Rückgangs von Bewerbern um Ausbildungsplätze der Ausbildungsnotstand beklagt wird. Er wäre leicht zu beheben, wenn den zahlreichen jungen Menschen in den sog. Warteschleifen die Chance auf eine zukunftsträchtige Berufsbildung geboten würde.

Erfolgsfaktor Nr.3: Funktionsfähige Soziale Sicherung und Tarifpolitik

Wie die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) in ihren jährlichen Berichten über die „Welt der Arbeit“ in den Krisenjahren nach der Lehman Pleite 2009 („The Global Job Crisis and Beyond“) und 2010 („From one Crisis to the Next“) bestätigt, ist es der Bundesrepublik gelungen, bei vergleichsweise hohen Wachstumseinbrüchen von 5 Prozent den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten. Beigetragen hat dazu die Konjunkturpolitik mit ihrer starken Ausrichtung auf beschäftigungssichernde Maßnahmen – insbesondere die sogenannte „Abwrackprämie“- gleistet.

Als besonders wirksam hat sich die Umverteilung der Arbeit durch Kurzarbeit erwiesen. Damit konnten in den Zeiten des starken Wirtschaftseinbruchs von 5 Prozent (2009) Arbeitnehmer mit  im Schnitt ein Drittel reduzierten Arbeitszeiten bis zu 24 Monaten weiter beschäftigt werden. Der Ausfall von Arbeitszeit und Einkommen sowie die zusätzlichen Kosten der Arbeitgeber zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge auf das volle Gehalt wurde zum überwiegenden Teil durch das von der BA gezahlte Kurzarbeitergeld ausgeglichen. Ausschlaggebend für die erfolgreiche Krisenbewältigung war der Konsens zwischen den drei Gruppen im Verwaltungsrat der BA -Arbeitgeber, Gewerkschaften und öffentliche Hand auf allen Ebenen- für den erleichterten und erweiterten Einsatz dieses Instruments und vor allem dessen Finanzierung aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung.  Auf dem Höhepunkt der Krise 2009 wurden hierdurch eine halbe Million Arbeitnehmer vor der Arbeitslosigkeit bewahrt.

Ergänzend wurden ebenfalls im Konsens von Arbeitgebern und Gewerkschaften tarifliche und betriebliche Regelungen verschiedener Arbeitszeitmodelle angepasst. Arbeitnehmer konnten z.B. vorgearbeitete Arbeitszeiten im Rahmen sog. Arbeitszeitkonten auflösen und damit ihre tatsächlichen Arbeitszeiten an die Umsatzrückgänge anpassen, ohne ihre Beschäftigung zu verlieren. Wenig erfolgreich war allerdings der Versuch der BA, die arbeitsfreien Zeiten während der Kurzarbeit zur beruflichen Qualifizierung zu nutzen. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer waren interessiert, diese neue gesetzliche Regelung zu nutzen.

Dieser massive Einsatz von Kurzarbeit und anderen Formen der Arbeitsumverteilung hat das sog. neue Beschäftigungswunder in der Bundesrepublik ab 2010 erleichtert und gefördert. Fraglich ist allerdings, ob dies auch bei einem erneuten Einbruch von Wachstum und Beschäftigung genutzt werden kann. Durch die wiederholten Kürzungen der Bundesregierung bei dem steuerlichen Ausgleich für die BA sind die finanziellen Reserven inzwischen vollständig aufgezehrt. Notwendig wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, im Notfall derartige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen über Steuern zu finanzieren oder der Tarifparteien, hierzu die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen. In beiden Fällen ist heftiger Streit vorprogrammiert. Deshalb ist schwer verständlich, dass die Bundesregierung ihre Kürzungspolitik vorwiegend zu Lasten der Sozialpolitik und der BA betreibt, die nach maßgeblichem Urteil im In- und Ausland erfolgreich zur Bewältigung der Krisen und zum neuen Beschäftigungswunder beigetragen haben. Die 2007 zur Senkung der BA-Beiträge eingesetzte Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt wurde scheibchenweise reduziert und ist mit den jüngsten Haushaltsbeschlüssen ganz gestrichen. Dafür soll der weder ordnungspolitisch noch finanziell zu rechtfertigende Eingliederungsbeitrag der BA zur Finanzierung der Hälfte der Ausgaben der Bundesregierung für die Arbeitsmarktpolitik der langzeitarbeitslosen Hartz IV Empfänger gestrichen werden. Allerdings stehen die damit eingesparten etwa 5 Mrd. Euro im Jahr in keinem Verhältnis zur Einkassierung der Mehrwertsteuer von etwa 8 Mrd. Euro im Jahr.

Gemischte Bilanz der Hartz Gesetze

Als Schlagworte für das neue Deutsche Beschäftigungswunder stehen häufig die „ Hartz-Gesetze“ sowie die“ Agenda 2010“. Ohne Zweifel ist damit 2002/2003 ein gravierender Paradigmenwechsel in der  Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Durch die massive Umorganisation der BA mit ihren über 600 Arbeitsagenturen und Geschäftsstellen, die Verlagerung der Priorität auf die Arbeitsvermittlung mit Einsatz privater Personalagenturen und dabei insbesondere den verbesserten Service gegenüber den Arbeitgebern wurde die Eingliederung Arbeitsloser in den Ersten Arbeitsmarkt verstärkt. Gleichzeitig erfolgte die Flexibilisierung arbeitsrechtlicher Regelungen – insbesondere für Leiharbeit, befristete Beschäftigung, geringfügige Teilzeitarbeit  ohne Sozialversicherungsbeiträge. Verschärft wurde der Druck auf Arbeitslose zur Annahme auch geringer wertiger Tätigkeiten weiterhin durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in Hartz IV sowie die erhebliche Verringerung der Zeitdauer für die Arbeitslosenunterstützung.

Nachdem seit 2006 die Zahl der Arbeitslosen von ihrem Höhepunkt mit etwa 5 Millionen auf unter 3 Millionen drastisch reduziert und gleichzeitig die Zahl der Erwerbstätigen auf 41 Mio. erheblich gestiegen ist, ist die politisch aufgeheizte Kontroverse um die Hartz Gesetze und den damit vorgenommenen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik einer erheblich nüchterneren Betrachtung gewichen. So hat ohne Zweifel die Verbesserung der Arbeitsvermittlung in Verbindung mit einer flexibleren Gestaltung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsrechts die Eingliederung Arbeitsloser in Arbeit erleichtert, zu dem erheblichen Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen und sowohl in Krisenzeiten nach 2009 die Anpassung an die Umsatzeinbrüche wie auch in der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs seit 2010 die Verbesserung bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit erleichtert. Allerdings darf dabei nicht vernachlässigt werden, dass die bei weitem wichtigeren Einflussfaktoren in den umfassenden Konjunkturprogrammen, der Umverteilung von Arbeit -vor allem durch Kurzarbeit-  sowie die Verbesserung der weltweiten Konjunktur (mit Ausnahme der Krisenjahre) zu sehen sind.

Allerdings müssen viele Menschen in der Bundesrepublik einen hohen Preis für die Flexibilisierung von Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht zahlen. So weisen auch die EU Kommission und die OECD in regelmäßigen Abständen darauf hin, dass in der Bundesrepublik in den vergangenen 10 Jahren die Niedriglohnsektoren bis zu Armut bei Arbeit dramatisch angestiegen sind. Traditionell als ein Land mit breitem Mittelstand, geringer Armut und umfassender sozialer Sicherheit  hält die Bundesrepublik inzwischen einen Spitzenplatz bei der sozialen Spaltung mit etwa einem Viertel der Beschäftigten in Niedriglohnsektoren (unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens); Empfängern von öffentlichen Transferleistungen infolge Langzeitarbeitslosigkeit und Armut bei Arbeit; den sich ausweitenden Differenzen zwischen unteren und oberen Einkommen sowie der ungleichen Verteilung von Vermögen.

Dies sind die negativen Folgen der geradezu explosionsartigen Ausweitung der Leiharbeit mit Löhnen, die im Schnitt um 40 Prozent unter den Einkommen vergleichbarer Stammarbeitskräfte liegen; der Auf Stückelung von Vollzeit und Teilzeitarbeit in geringfügige Arbeitsverhältnisse (bis 400 Euro im Monat) ohne Sozialversicherungspflicht, die beinahe 50 Prozent der Niedriglöhner ausmachen sowie der starken Zunahme befristeter Einstellungen, die für junge Menschen häufig jegliche Planung ihres beruflichen und persönlichen Lebens unmöglich machen – mit weittragenden Folgen bis zum Verzicht auf Familie und Kinder. Betroffen hiervon sind schon längst nicht mehr nur die gering und unqualifizierten Menschen. Vielmehr reichen diese prekären Arbeitsverhältnisse in immer mehr qualifizierte Tätigkeiten bis hin zu den wissenschaftlichen Bereichen. Hierdurch gehen wesentliche Potentiale und Investitionen in Qualifikation verloren, die infolge der demographisch bedingten Rückgänge in Bevölkerung und Erwerbstätigkeit dringend gebraucht werden.

Der durch die Hartz Gesetze eingeleitete Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik ist weit über das Ziel hinaus geschossen. Geschaffen wurde ein gigantischer Kombilohnsektor, wobei Unternehmen geradezu gesetzlich zu Lohndumping und Ersatz durch staatliche Transfers angeheizt werden. Notwendig ist daher eine nüchterne Analyse, wo und wieweit Korrekturen erforderlich sind. Dazu gehören vor allem gesetzlich Mindestlöhne, wie sie bereits für den überwiegenden Teil der EU Mitgliedsländer und  auch in den USA eingeführt sind. In der Bundesrepublik sind sie bisher auf tarifliche Vereinbarungen beschränkt und konnten erst für etwa 10 Prozent der Beschäftigten in kontroversen und langwierigen Verfahren durchgesetzt werden. Zur Verhinderung von Lohndumping und sonstigen Missbräuchen bei Leiharbeit  konnten die Gewerkschaften erhe

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