Rente mit 69 zur Rettung des Euro

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Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung kommt in seiner Expertise „Herausforderungen des demographischen Wandels“ vom 18. Mai 2011 zu der Schlussfolgerung, dass die Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre wirtschafts- und finanzpolitisch unverzichtbar sei. Darüber hinaus müsse ab 2029 das Renteneintrittsalter weiter auf 69 Jahre bis 2060 heraufgesetzt werden. Danach müssten weitere automatische Stufen der Anhebung des Rentenalters gemäß der Erhöhung des Anteils älterer Menschen in Deutschland erfolgen. Dies ist die wissenschaftliche Begleitmusik zur Politik der Bundesregierung, die trotz gravierender Mängel bei den Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer ab 2012 beginnen wird, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufzusetzen. Entlarvend ist die Begründung der angeblichen “Alternativlosigkeit” der Heraufsetzung des Rentenalters mit der gigantischen Verschuldung zur Rettung des Euro und vor allem der Banken.

Die verheerenden Folgen der verfehlten Politik in Europa zur Rettung des Euro mit unabsehbaren Kosten für die Menschen werden immer deutlicher: Die unsozialen  Kürzungsmaßnahmen der Regierungen einerseits und die Fortsetzung der unverantwortlichen Finanzspekulation andererseits gefährden nicht nur den Euro, sondern die europäische Integration insgesamt. Die Generalstreiks sowie der Aufstand der jungen Menschen in den überschuldeten Euroländern Griechenland, Irland, Portugal und Spanien zeigen, wieweit die Spaltung der Gesellschaft unter den rigorosen Kürzungsdiktaten voranschreitet. Besonders plastisch drückt dies eine der jungen Demonstrantinnen in Spanien aus. Auch sie gehört zu der verlorenen Generation mit einer Arbeitslosenquote von 45 Prozent: „Wir haben die Krise nicht gemacht, aber jetzt sollen wir sie bezahlen.“

Wie die „Faust aufs Auge“ nehmen sich vor diesem Hintergrund die populistischen Äußerungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel aus: Es könne nicht sein, dass die Bundesbürger bis 67 Jahren arbeiten und die Menschen in Südeuropa frühzeitiger in den Ruhestand gehen. Berlin werde den überschuldeten Euroländern nur helfen, wenn diese sich mehr anstrengen. Und weiter: „Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer nicht zusammen.“ Die Schlussfolgerung lautet:  Die Heraufsetzung des Rentenalters muss in allen Ländern der EU erfolgen. „Recht so“ werden viele Bundesbürger sagen, die hart malochen und länger arbeiten müssen. Sie sollten allerdings solchen Äußerungen nicht auf den Leim gehen und vergessen, dass sich die Bundesregierung mit der Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre über die große Mehrzahl der Deutschen rigoros hinwegsetzt. Für sie ist die Rente mit 67 ein reines Kürzungsprogramm ihrer durch vorherigen vielfältigen Sozialabbau bereits niedrigen Altersrenten.

Damit hält die Bundesrepublik in der EU eine zweifelhafte Vorreiterrolle:  Die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre wird bereits 2012 begonnen. Nur in Dänemark und Spanien soll dies auch in den nächsten Jahren erfolgen. In vielen europäischen Ländern liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter weit darunter – im Durchschnitt der EU bei 61,4 Jahren. Erforderlich ist daher umgekehrt eine soziale Politik in ganz Europa: Priorität muss die Humanisierung der Arbeit sein, die es den Menschen überhaupt erst einmal ermöglicht, länger im Erwerbsleben zu verbleiben. Die von Frau Merkel propagierte Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 in ganz Europa ist unter den tatsächlichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt ein Programm zur Förderung der Altersarmut.

Die wissenschaftliche Begleitmusik für den Vorstoß der Bundeskanzlerin zur Erhöhung des Rentenalters in Deutschland und Europa liefert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. In seiner Expertise „Herausforderungen des demographischen Wandels“ vom 18. Mai 2011 kommt er zu der Schlussfolgerung, dass nicht nur die Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre wirtschafts- und finanzpolitisch unverzichtbar ist. Darüber hinaus müsse ab 2029 das Renteneintrittsalter weiter auf 69 Jahre bis 2060 heraufgesetzt werden. Danach müssten weitere automatische Stufen der Anhebung des Rentenalters gemäß der Erhöhung des Anteils älterer Menschen in Deutschland erfolgen.

Entlarvend ist die Begründung, dass diese weitere Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig ist, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte sicher zu stellen. Dabei müsse es vor allem darum gehen, „die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sprunghaft gestiegene Schuldenlastquote merklich zu reduzieren.“ Die Bundesbürger müssen somit nicht nur ohnmächtig zusehen, wie sie eine unverantwortliche Finanzbranche und konzeptionslose Politik für die Rettung der Banken und des Euro in eine grenzenlose Verschuldung treiben. Durch das Rekord-Kürzungsprogramm der Bundesregierung bis 2014 werden die Sozialleistungen bereits um 30 Milliarden Euro eingeschränkt. Dies geht vor allem zu Lasten der Arbeitslosen, Familien und Rentner. Mit der schwarz-gelben Gesundheitsreform wird der Ausstieg aus der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung eingeleitet. Nutznießer sind die Arbeitgeber, deren Beiträge gedeckelt werden, während die Arbeitnehmer die zukünftigen Kostensteigerungen über höhere Beiträge und geringere Leistungen bezahlen müssen. Ähnliches wird für die gesetzliche Pflegeversicherung erfolgen. Mit weiteren gesetzlichen Reformen der Arbeitsmarktpolitik werden Kürzungen der Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung vor allem zu Lasten schwerer vermittelbarer Menschen  vorbereitet.

Gleichzeitig werden durch ein von der Bundesregierung bestelltes wissenschaftliches Gutachten weitere Opfergänge der Menschen für die Konsolidierung der öffentlichen Verschuldung mit wissenschaftlichen „Weihen“ und medialer Begleitung vorbereitet. Bereits die Rente mit 67 bedeutet für die große Mehrzahl der Menschen in Deutschland mehr Arbeitslosigkeit, inhumane Arbeitsbedingungen und Armut im Alter. Eine weitere Heraufsetzung des Rentenalters – demnächst noch als automatische Spirale nach oben – wird dies verschärfen. Die Androhung von höchster Stelle in der Bundesrepublik, dass die Rente mit 67 demnächst für alle Menschen in Europa gelten soll, vertieft die Spaltung auch in der EU. Gefährdet sind nicht nur der Euro, sondern die Europäische Integration und die Demokratie insgesamt.  Es ist höchste Zeit, das Ruder der Politik auf nationaler und europäischer Ebene herumzureißen, bevor es zu spät ist. Die Politik in Deutschland und der EU muss endlich da ansetzen, wo die Ursachen der gigantischen Überschuldung einzelner Mitgliedsländer liegen – nämlich bei den deregulierten und entgrenzten Finanzsektoren.

Erforderlich sind: die Reregulierung auf den Finanz- und Kapitalmärkten, wirksame nationale und europäische Aufsichtsgremien, eine international abgestimmte Finanztransaktionssteuer und eine ausreichende finanzielle Beteiligung  der privaten Gläubiger an den finanziellen Rettungsmaßnahmen. Die öffentlichen Konsolidierungsmaßnahmen auf nationaler Ebene müssen die notwendige wirtschaftliche und soziale Balance aufweisen. Dazu sind in erster Linie diejenigen zur finanziellen Verantwortung heranzuziehen, die dies mit ihren hohen Einkommen Gewinnen, Vermögen und Kapitalerträgen am ehesten leisten können und müssen. Die derzeit eingeleiteten unsozialen Kürzungsprogramme werden die betroffenen Länder und ihre Bürger in eine wirtschaftliche Spirale nach unten reißen, die sich auf ganz Europa ausdehnen kann. „Am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen“ ist noch niemandem und nirgendwo gelungen. Das Erstarken rechtsradikaler Parteien in einigen europäischen Nachbarländern sollte eine deutliche Warnung sein.

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