Faire Löhne – Gute Arbeit – Soziale Sicherheit

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Der Arbeitnehmertag 1 .Mai 2011 stand unter dem Motto: Faire Löhne – Gute Arbeit – Soziale Sicherheit. Ich war Hauptrednerin der 1. Mai Kundgebung in Aachen. Sie begann mit dem Demonstrationszug ab dem DGB Haus in Aachen bis zum Rathausplatz von etwa einer Stunde. Auf dem Kundgebungsplatz hatten sich ungefähr 1 500 Menschen eingefunden. Dabei waren viele junge Menschen und Familien mit Kindern. Es war eine gute Stimmung bei strahlendem Sonnenschein. DGB und Mitgliedsgewerkschaften hatten ihre Informationsstände aufgebaut.

Gute Nachrichten für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt beherrschen die Schlagzeilen:

Die Wirtschaft boomt.

Die Zahl der Arbeitslosen wird schon im nächsten Monat die magische Grenze von 3 Millionen unterschreiten – erstmalig seit 1992, als Wirtschaft und Arbeitsmarkt von der Deutschen Einheit profitierten.

 Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Einheitsboom Mitte der 1990er Jahre beendet war und der große Katzenjammer kam. Er dauerte über 10 Jahre.

 Die Wirtschaft in ganz Deutschland stagnierte und die Zahl der Arbeitslose stieg auf 5 Millionen:

Auch jetzt ist Vorsicht bei der Erwartung der  Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Belebung angebracht.

Die gigantische Verschuldung auf nationaler und europäischer Ebene sowie die labile Weltkonjunktur bedeuten erhebliche Risiken auch für unsere Wirtschaft und Beschäftigung.

Freizügigkeit nach Mittel- und Osteuropa

Ab dem heutigen 1. Mai 2011 gilt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer für weitere Mitgliedsländer der EU in Mittel- und Osteuropa.

Dies ist ein wichtiger Schritt für die Integration Europas.

Begonnen wurde sie 2004 mit dem Beitritt von 8 Ländern in Mittel- und Osteuropa – viele von ihnen unter ehemaliger kommunistischer Herrschaft:

Polen, Tschechin, Slowakei, Slowenien, Ungarn sowie die drei baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland. Die Freizügigkeit für Bulgarien und Rumänien, die erst 2007 die Mitgliedschaft in der EU erworben haben, kann in der Bundesrepubik bis 2014 aufgeschoben werden.

Von Seiten der Wirtschaft  wird die erweiterte Arbeitnehmerfreizügigkeit mit großer Zustimmung bis Jubel begleitet. Erwartet wird ein Beitrag zu Behebung der lautstark beklagten Arbeits- und Fachkräftelücke.

Dabei wird die regierungsamtlich geschätzte Zuwanderung von 100 000 bis 150 000 Menschen pro Jahr als erheblich zu niedrig angesehen. mithin im Schnitt etwa 500 000 im Jahr.

Just zum rechten Zeitpunkt hat das Arbeitgeber-Institut der Deutschen Wirtschaft Schlagzeilen mit erheblich höheren Zuwanderungszahlen gemacht -Danach sollen 800 000 Menschen in den nächsten beiden Jahren aus Mittel- und Osteuropa auf den deutschen Arbeitsmarkt strömen.

Für die Wirtschaft ist dies immer noch eher zu wenig:

Verwiesen wird darauf, dass in den 1990er Jahren mit 3,3 Millionen Menschen eine erheblich höhere Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt stattgefunden habe.

Diese vor allem mediale Debatte hat bereits vor den Finanz- und Wirtschaftskrisen begonnen und nach der wirtschaftlichen Erholung im vergangenen Jahr wieder an Fahrt gewonnen.

Spaltung der Gesellschaft nimmt zu

Für viele Menschen in Deutschland hat diese Public Relations Kampagne allerdings wenig bis nichts mit ihrer Realität bei der Arbeit und in ihrem Leben zu tun. Für sie bedeutet das angebliche Beschäftigungswunder: weiter steigende Leistungsanforderungen bis zur gesundheitlichen Schädigung, unsichere Beschäftigung mit Niedriglöhnen bis zu Armut bei Arbeit und Arbeitslosigkeit.

Selbst konservative Institutionen – wie die Europäische Kommission und die OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) – bescheinigen uns:

 Wir halten als Bundesrepublik einen traurigen Rekord bei Ausmaß und Schnelligkeit der Ausbreitung von Niedriglöhnen – mit inzwischen 7 Millionen Arbeitnehmern unter 60 Prozent des Mittleren Einkommens – davon 2 Millionen mit Stundenlöhnen unter 6 Euro brutto.

Entsprechend ist die Zahl der Arbeitnehmer, die von ihrem Einkommen nicht leben können und Hartz IV beziehen, auf 1,4 Millionen angestiegen.

Es ist noch nicht lange her: Da hat die EU Kommission Alarm geschlagen, dass die  Bundesrepublik bei der Lohndiskriminierung gegen Frauen mit einer Lohnlücke von 23 Prozent einen weiteren traurigen Rekord hält.

Erst vor wenigen Tagen ist uns das skandalöse Ausmaß der geringfügigen Teilzeitarbeit erneut vor Augen gehalten worden:

Danach sind 7,3 Millionen Menschen nur noch in 400 Euro Jobs beschäftigt. Über Dreiviertel dieser Minijobber ohne Rentenversicherung sind Frauen. Armut bei Arbeit und im Alter ist vorprogrammiert.

Es ist daher nicht verwunderlich:

Nur ein Fünftel der Arbeitnehmer glaubt, dass ihre Arbeit durch die erweiterte  Freizügigkeit nicht verschlechtert wird.

Im Umkehrschluss heißt dies nichts anderes, als dass die große Mehrzahl der Arbeitnehmer negative Auswirkungen auf ihre Beschäftigung befürchtet.

Die auf dem bundesrepublikanischen Arbeitsmarkt boomende Leiharbeitsbranche hat sich schon längst nach Osteuropa aufgemacht.

Bislang hat die Blockade der Bundesregierung gegen den tariflichen Mindestlohn des DGB für die Leiharbeit die Scheunentore für Lohn- und Sozialdumping offen gehalten.

 So ist Armut bei Arbeit bereits für etwa 12 Prozent der Leiharbeitnehmer bittere Realität.

Damit werden Leiharbeitsagenturen fette Gewinne auf dem Rücken der Leiharbeitnehmer beschert.

Buchstäblich in letzter Minute vor der erweiterten Freizügigkeit ab 1.Mai konnten Gewerkschaften und Opposition im Rahmen des Hartz Kompromisses die tariflichen DGB Mindestlöhne durchsetzen.

Die mindestens so wichtige Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wird jedoch von der Bundesregierung weiterhin blockiert.

Ebenso verhindert sie den von den Gewerkschaften verlangten einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 8Euro50.

Die Leiharbeitsagenturen haben längst neue Wege beschritten, um die Tarifpolitik sowie das Arbeits- und Sozialrecht weiterhin zu umgehen:

Über Werkverträge können sie auch in Zukunft billige Arbeitnehmer aus Osteuropa in die Bundesrepublik holen.

Für die Arbeitnehmer gibt es noch mehr Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Dies ist keine „Fata Morgana“ ewig furchtsamer und nörgelnder Arbeitnehmer sowie gestriger Betriebsräte und Gewerkschaften – wie es gerade in diesen Tagen in der Öffentlichkeit verbreitet wird.

Gewerkschaften wollen ein soziales Europa

Wir als Gewerkschaften standen und stehen zur Europäischen Integration.

Gerade der 1. Mai mit seiner langjährigen Tradition ist ein Tag für die Demonstration nicht nur der nationalen, sondern auch der internationalen Gewerkschaftsarbeit.

 Mit den Europäischen Gewerkschaften haben wir unter gewaltigem Kraftaufwand wesentliche Rahmenbedingungen in der EU zur sozialen Gestaltung der Freizügigkeit durchsetzen können.

Zu nennen sind hierbei insbesondere die Entsenderichtlinie von 1996 als Grundlage für tarifliche Mindestlöhne, die Dienstleistungsrichtlinie gegen Lohn- und Sozialdumping, die Europäische Betriebsräterichtlinie zur Verhinderung der Aushöhlung der Betriebsverfassung und zuletzt die Richtlinie zum Schutz der Leiharbeitnehmer.

Trotzdem bleiben noch zu viele offene Flanken für die Gefährdung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen.

Auf Dauer wird ein Europa der Konzerne und Finanzinteressen keinen Bestand haben.

Dies gilt umso mehr, als die Bundesregierung uns als Steuerzahler mit unübersehbaren finanziellen Verpflichtungen für marode Banken und überschuldete Euroländer belastet.

Die jüngsten Gipfelbeschlüsse zur notwenigen Koordinierung von Wirtschafts- und Sozialpolitik setzen diese Politik weiter fort.

Die Überwachung der ausufernden Finanzspekulation und Überschuldung der Euroländer bleibt zahnlos.

Einer wirksame Besteuerung von hohen Gewinnen, Vermögen, Finanzgeschäften und Kapitalerträgen ist nicht enthalten.

Dafür soll die Tarifpolitik der Gewerkschaften eingeschränkt und die Rente mit 67 auch in anderen Euroländern eingeführt werden.

Und die Bundesbürger werden mit weiteren 100erten von Milliarden Euro an Kapitalspritzen und Bürgschaft für überschuldete Euroländer zur Kasse gebeten.

Ein erster bitterer Vorgeschmack über die Folgen dieser Politik für die Arbeitnehmer ist das Sparpaket der Bundesregierung in der Rekordhöhe von 80 Milliarden Euro bis 2014.

Davon entfallen allein 30 Milliarden Euro auf die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – unmittelbar zu Lasten der Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen.

Paradigmenwechsel in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik

Die Politik der Belastung von Arbeitnehmern sowie die Ausbreitung von Niedriglohnsektoren und Armut muss gestoppt werden.

- Unabdingbar hierfür ist eine wirksame Kontrolle der Finanzbranche, und eine gerechte Steuerpolitik: Die Durchsetzung einer ausreichenden Bankenabgabe sowie einer international abgestimmten Finanztransaktionssteuer darf von der Bundesregierung nicht länger mit „spitzen Fingern“ beiseitegeschoben werden.

- Auch die Wirtschaft ist dringend gefordert: Den Lobesbezeugungen über die Zurückhaltung der Gewerkschaften in der Krise muss jetzt die Gegenleistung durch faire Lohnerhöhungen folgen.

Erneute Mahnungen maßgeblicher Wirtschaftsvertreter  vor zu hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften sind fehl am Platz.

Gerade auch für die Wirtschaft gilt:

Löhne sind nicht nur Arbeitskosten, sondern ebenso kaufkräftige Binnennachfrage.

Die Stärkung der Binnenkonjunktur in der Bundesrepublik ist eine wesentliche Bedingung für die Begrenzung der Finanzkrisen in Europa.

- Unverzichtbar ist: Wirtschaft und Bundesregierung müssen ihre Blockaden gegen die Ausweitung tariflicher Mindestlöhne und einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 8Euro50 aufgeben.

- Für die Leiharbeit müssen die tariflichen Mindestlöhne des DGB umgehend eingeführt werden.

Darüber hinaus ist das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahmen endlich durchzusetzen.

- Die Befristung der Arbeit ist wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes zurückzuführen.

Es ist verantwortungslos, wie unsere Wirtschaft mit vielen jungen Menschen umgeht.

Nicht nur sind inzwischen drei Viertel der Betriebe nicht mehr bereit oder in der Lage ihrer Verpflichtung zur beruflichen Ausbildung nachzukommen.

Darüber hinaus werden junge Menschen häufig nur noch befristet oder in Leiharbeit eingestellt.

Gleichzeitig werden von höchster Stelle in Wirtschaft und Politik Krokodils Tränen über die Abnahme von Familiengründung und Kindererziehung vergossen.

Wie sollen unsere jungen Menschen überhaupt Verantwortung für Familie und Kinder übernehmen, wenn ihnen existenzsichernde Arbeit verweigert wird?

- Der soziale Skandal von inzwischen 7,3 Millionen geringfügigen Teilzeitarbeitsverhältnissen (400-Euro Jobs) – und damit die Armutsfalle für viele Frauen in der Arbeit sowie bei der Rente – muss gesetzlich beendet werden.

Ein erster Schritt wäre die Festlegung einer Höchststundenzahl sowie Zusammenrechnung der Arbeitszeiten aus Normal- und 400 Eurojobs für die Bemessung der Sozialversicherung.

Am besten wäre es jedoch, grundsätzlich alle Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht einzubeziehen.

- Der im Rahmen des Sparpaketes der Bundesregierung bis 2014 beschlossene Kahlschlag bei der Arbeitsmarktpolitik mit einem Gesamtvolumen von 16 Mrd. Euro ist aufzuheben.

- Ebenfalls zu beenden ist der von der Bundesregierung eingeleitete Ausstieg aus der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung. An Stelle der Privatisierung  auf dem Rücken der weit überwiegenden Mehrzahl der Menschen in Deutschland brauchen wir mehr Solidarität durch die Bürgerversicherung für alle Erwerbstätigen.

- Der Marsch in die millionenfache Armut im Alter ist zu stoppen.

Renten sind kein Almosen des Staates, das willkürlich eingeschränkt werden kann, sondern Anspruch der Arbeitnehmer, den sie durch ihre Beiträge erworben haben.

Auszusetzen ist die willkürliche Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre.

Wie regierungsamtliche Berichte selbst zeigen, liegen die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen weder bei der Arbeit noch der Gesundheit vor.

- Überfällig ist ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft.

Die seit 10 Jahren bestehende freiwillige Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Wirtschaft zur Gleichstellung von Frauen erweist sich immer mehr als „zahnloser Tiger“. Das jährliche Medienschauspiel steht in keinem Verhältnis zu den mageren Erfolgen.

Fazit

Für uns als Gewerkschaften bleibt viel zu tun. Für die verantwortungsvolle Tarifpolitik wird uns viel Anerkennung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gezollt. Es wäre an der Zeit, dass dies nicht nur in der Krise gilt, sondern auch in den wirtschaftlich wieder besseren Zeiten.

Die Arbeitnehmer haben gerade bei den Löhnen erhebliche Nach- und Aufholbedarfe.

Die Ausbreitung von Niedriglöhnen und Armut, die Aushöhung der Sozialversicherung und damit die Spaltung der Gesellschaft nehmen weiter zu.

Die Wirtschaft braucht dringend eine Stärkung der Binnenkonjunktur – sowohl in der Bundesrepublik wie auch in Europa.

Es ist höchste Zeit, dass die Politik den notwendigen Paradigmenwechsel vollzieht.

Wir brauchen auch wirtschafts- und sozialpolitische Rahmenbedingungen für Faire Löhne, gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit.

>> Presseartikel 1

>> Presseartikel 2

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