Hartz IV – erneute Klage vor Bundesverfassungsgericht

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Nach dramatischen Verhandlungstagen und -nächten wurde die vom Bundesverfassungsgericht auf den 1.1.2011 terminierte Reform am 25. Februar -mit zweimonatiger Verspätung- vom Bundesrat beschlossen. Es ist davon auszugehen, dass dieses Gesetz wieder beim Bundesverfassungsgericht landen wird: Die Minierhöhung für die Regelsätze, insbesondere die willkürliche Herunterrechnung der Einkommens-Bemessungsgrundlage, die Herausnahme wichtiger Leistungen zur gesellschaftlichen Teilhabe, wie z.B. für Gaststättenbesuche und Verkehrsmittel sowie die impraktikable Pauschalierung einmaliger Sonderleistungen entsprechen nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes.

Nach dramatischen Verhandlungstagen und -nächten wurde die vom Bundesverfassungsgericht auf den 1.1.2011 terminierte Reform am 25. Februar -mit zweimonatiger Verspätung- vom Bundesrat beschlossen. Für die betroffenen Menschen in Hartz IV bleibt es bei der Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro von 359,- auf 364,- Euro  ab 1.1.2011. Dafür entfällt allerdings die reguläre Anpassung an die Renten- und Preisentwicklung Mitte des Jahres. Eine weitere Erhöhung um 3 Euro ist für 2012 vorgesehen. Dies erfolgt zusätzlich zu der jährlichen Anpassung. Weiterhin sollen die “vergessenen“ Ausgaben für Warmwasser zwar nicht als Regelleistung, aber als spezifische Sonderleistung gewährt werden können.

 Für Kinder aus bedürftigen Familien (Hartz IV, Empfänger von Wohngeldleistungen sowie Kinderzulagen) wird es zwar keine Erhöhung der Regelsätze geben – dafür aber zusätzliche Sachleistungen für Bildung, Sport und Kultur. Die SPD konnte durchsetzen, dass die Zahl der Sozialarbeiter in den Schulen erhöht wird und die Kommunen die Umsetzung der Kinderpakete übernehmen. Dafür erhalten sie einen finanziellen Ausgleich vom Bund. Die Auszahlung der höheren Regelleistungen rückwirkend zum 1.1.2011 wird zum 1. April erfolgen. Die Kinderleistungen können sofort beantragt werden.

Es ist davon auszugehen, dass dieses Gesetz wieder beim Bundesverfassungsgericht landen wird: Die Minierhöhung für die Regelsätze, insbesondere die willkürliche Herunterrechnung der Einkommens-Bemessungsgrundlage, die Herausnahme wichtiger Leistungen zur gesellschaftlichen Teilhabe, wie z.B. für Gaststättenbesuche und Verkehrsmittel sowie die impraktikable Pauschalierung einmaliger Sonderleistungen entsprechen nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes.

Zu Ungerechtigkeiten führt auch die praktische Umsetzung der Kinderleistungen durch die Kommunen: Völlig ungeklärt ist z.B. wie das warme Mittagessen den Kindern zur Verfügung gestellt werden kann, wenn Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen dafür überhaupt keine Räumlichkeiten aufweisen. Ebenso offen ist das Angebot der Bildungs-, Sport, Kultur- und Freizeitleistungen in vielen ländlichen Räumen ohne derartige Infrastruktur und Verkehrsmöglichkeiten. So haben einige Kommunen schon deutlich gemacht, dass sie sehr lange Zeit brauchen werden, um die Voraussetzungen für diese Kinderleistungen überhaupt erst einmal zu schaffen. Profitieren von dem „Geldsegen“ für die Übernahme der Kinderpakete werden vor allem die Kommunen, die Bundesländer sowie die privaten und öffentlichen Anbieter derartiger Leistungen. Bei so vielen ungeklärten Fragen bezüglich der Sachleistungsangebote für Kinder in Hartz IV sollte die SPD ihre Forderungen nach geeigneten Angeboten in Kindergärten und Schulen aufrechterhalten.

 „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf der „Agenda“ der SPD

Ein von der SPD im Hartz IV Kompromiss durchgesetzter Schritt in die richtige Richtung ist die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit tariflicher Mindestlöhne für weitere 1,2 Millionen Arbeitnehmer und endlich auch die Leiharbeit. Derartige Anträge der von den DGB Gewerkschaften ausgehandelten tariflichen Mindestlöhne für die Leiharbeit liegen bereits seit Jahren in den Schubladen des Bundesarbeitsministeriums.

Dumping-Mindestlöhne der Christlichen Gewerkschaften

Bisher haben CDU/CSU und FDP blockiert, dass sie von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärt werden und für alle Leiharbeitnehmer gelten. Als Begründung mussten die konkurrierenden Tarifverträge über Mindestlöhne der christlichen Gewerkschaften herhalten. Diese lagen zum großen Teil weit unter den Mindestlöhnen der DGB Gewerkschaften. Damit ist in der Praxis ein explodierender Leiharbeits- und Niedriglohnsektor auf dem Rücken der betroffenen Menschen entstanden. Entwickelt hat sich gleichzeitig ein riesiger Kombilohnsektor mit öffentlicher Subventionierung der Lohnzahlungen der Wirtschaft. Finanzieren müssen dies wiederum die Arbeitnehmer über ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

Tarifverträge der Christlichen Gewerkschaften unwirksam

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diesem wirtschaftlich und sozial gleichermaßen verantwortungslosen Treiben einen Riegel vorgeschoben: Der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP),  Spitzenorganisation der Christlichen Zeitarbeitsgewerkschaften wurde mit Urteil des 1.Senats des BAG vom 14.Dezember 2010 die Tariffähigkeit abgesprochen. Dies ist in der schriftlichen Urteilsbegründung vom 28. Februar 2011 bestätigt worden. Die Klage gegen den CGZP ist von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) geführt worden.  Der CGZP war nur dazu gegründet worden, um abweichende Tarifverträge von dem Grundsatz des „Equal Pay“ nach der entsprechenden Ausnahmeklausel im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz abzuschließen. Das BAG hat festgestellt, dass der CGZP keine Legitimation habe, für die Leiharbeitsbranche Tarifverträge abzuschließen. Damit sind die vom Christlichen Gewerkschaftsbund ausgehandelten „Dumping Löhne“ unwirksam und der Grundsatz des „Equal Pay“ gilt. Leiharbeitnehmern stehen mithin die gleichen Löhne und Arbeitsbedingungen zu wie Stammarbeitskräften. Sie können gegenüber ihren Verleihfirmen gleichen Lohn für gleiche Arbeit und entsprechend höhere Beiträge zur Rentenversicherung und Rentenleistungen geltend machen. Es ist davon auszugehen, dass diese Lohn-, Beitrags- und Rentenansprüche von mehreren Milliarden Euro auch rückwirkend geltend gemacht werden können. Die „goldenen“ Zeiten für die boomende Leiharbeitsbranche auf dem Rücken der betroffenen Arbeitnehmer dürften damit beendet sein.

Entfallen ist aber auch die Begründung der Bundesregierung für die Blockade gegen die Allgemeinverbindlichkeit der tariflichen Mindestlöhne der DGB Gewerkschaften. Die tariflichen Mindestlöhne für Leiharbeitnehmer der DGB Gewerkschaften können zwar Lohndumping verhindern. Jedoch bedeutet dies für die betroffenen Menschen noch keine Existenzsicherung bei Arbeit und in der Rente. Mit 7,60 Euro brutto Stundenlohn im Westen und 6,65 Euro Brutto im Osten werden Leiharbeitnehmer mit Familienverantwortung kaum der Hartz IV Falle entkommen. Dies gilt umso mehr, weil die Übernahme in feste Beschäftigung für Leiharbeitnehmer äußerst niedrig ist.

Diese jahrelange „Hängepartie“ der Mindestlöhne in der Leiharbeit zu Lasten von 100 000nden Leiharbeitnehmern sowie der Beitrags- und Steuerzahler zu den öffentlichen Transfersytemen zeigt: Die Verankerung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahmen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist unerlässlich. Auch wenn die SPD in diesem Verhandlungspoker um Hartz IV hierbei keinen Durchbruch erzielen konnte, muss dies ganz oben auf der politischen Agenda bleiben.

Mindestlöhne bei Briefdienstleistungen

Ein weiteres „trauriges“ Kapitel ist das Schicksal der tariflichen Mindestlöhne bei den Briefdienstleistungen. Hierbei handelt es sich um eine Branche, in der auch viele Frauen beschäftigt sind. Die 2007 von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi)  mit der Deutschen Post AG ausgehandelten tariflichen Brutto-Mindestlöhne zwischen 8,40 und 9,80 Euro in der Stunde sind von der damaligen Großen Koalition ab 2008 für allgemeinverbindlich erklärt worden. Daraufhin gründeten die privaten Briefzusteller (PIN Mail AG, TNT Post Regioservice GmbH) einen eigenen Arbeitgeberverband mit Florian Gerster (SPD) an der Spitze. Gerster war ehemaliger Sozialminister von Rheinland Pfalz und kurzzeitig Vorstandsvorsitzender bei der Bundesagentur für Arbeit. Der neu etablierte und ein anderer Arbeitgeberverband handelten mit der zuständigen Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste tarifliche Mindestlöhne aus – allerdings auf erheblich niedrigerem Niveau. Gleichzeitig führten sie Klage beim Verwaltungsgericht Berlin - gegen die Allgemeinverbindlichkeit der nach ihrer Meinung zu hohen Mindestlöhne von Verdi. Diese seien eine unlautere Konkurrenz für die privaten Briefzustelldienste, vielen dort Beschäftigten würde dies ihre Arbeit kosten und das grundgesetzlich geschützte Recht auf Koalitionsfreiheit sei verletzt. Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig vom 28. Januar 2011 wurde ihnen Recht gegeben. Die Allgemeinverbindlichkeit der höheren Mindestlöhne für die Briefzustelldienste von Verdi und der Deutschen Post AG mussten aufgehoben werden.

Dies zeigt -ebenso wie bei der „unendlichen Geschichte“ bei der Leiharbeit- besonders plastisch, mit welchen Verzögerungen und Blockaden die Einführung tariflicher Mindestlöhne in der Bundesrepublik behindert wird. Die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes ist daher unerlässlich.

Abriss der Arbeitsmarktpolitik

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist auf dem besten Weg, ihre Arbeitsmarktpolitik vollends „ad absurdum“ zu führen: Die Finanzierung der großzügigen „Geldgeschenke“ an die Kommunen -als Gegenleistung für die Übernahme der Kinderpakete und die Annahme des Hartz IV Kompromiss im Bundesrat- soll aus den Taschen der Bundesagentur für Arbeit genommen werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat dafür ein leicht nutzbares Pfand: Seit 2007 erhält die Bundesagentur für Arbeit einen Mehrwertsteuerpunkt (damals knapp 6,5 Milliarden Euro) als Gegenleistung für die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Von 2008 bis 2010 ist der Beitragssatz zur BA -auch als Teil der Konjunkturpolitik in der Wirtschaftskrise- weiter auf 2,8 Prozent abgesenkt, seit 1.Januar allerdings wieder auf 3,0 Prozent angehoben worden. Die Verringerung von 6,5 auf 2,8 Prozent entspricht einer Entlastung der Beitragszahler -Arbeitgeber und Arbeitnehmer- von 30 Milliarden Euro im Jahr. Dies ist ein beachtlicher Beitrag zur Förderung der Konjunktur. Infolge der hohen Ausgaben für die Kurzarbeit zur Bekämpfung der Beschäftigungskrise und Verhinderung von Arbeitslosigkeit erwartet die BA in diesem Jahr ein Defizit von etwa 5 Milliarden Euro und 2012 von noch einmal 2,2 Milliarden Euro. Würde der Anteil an der Mehrwertsteuer -wie von der Bundesregierung geplant- reduziert, steigt das Defizit der BA weiter an.

Kürzungsprogramm schneidet tief in Arbeitsmarktpolitik

Im Rahmen der 2010 beschlossenen Kürzungsmaßnahmen der Bundesregierung muss die Arbeitsmarktpolitik bis 2014 um 16 Mrd. Euro zusammengestrichen werden. Im Klartext heißt dies: Kürzungen bei den arbeitsmarktpolitischen Eingliederungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für Arbeitslose und dabei insbesondere für schwer vermittelbare, Alleinerziehende, gering Qualifizierte, Ältere, Behinderte und Migranten. Gerade die Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit im Februar 2011 zeigt deutlich die negativen Auswirkungen. Zwar ist die Arbeitslosigkeit insgesamt erheblich zurückgegangen. Allerdings ist sie für die Langzeitarbeitslosen auf dem überdurchschnittlich hohen Niveau von etwa 900 000 geblieben und hat für die „Erwerbsfähigen“ in Hartz IV sogar noch weiter zugenommen.

Mehrwertsteuer-Pfand des Bundesfinanzministers

Bereits 2010 hat der Bundesfinanzminister in die Kasse der BA gegriffen und die nicht genutzten Mittel aus der Insolvenzumlage der Arbeitgeber von über 1 Milliarde Euro aus dem Haushalt der BA 2011 „abgeschöpft“. So soll es jetzt weitergehen. Wolfgang Schäuble ist entschlossen, die den Kommunen versprochenen Mittel für die Grundsicherung der Rentner -ab 2013 von 3,5 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr- aus dem Mehrwertsteuer-„Pfand“ der BA zu finanzieren. Die Leidtragenden sind in jedem Fall die Arbeitnehmer und Arbeitslosen – entweder als Beitragszahler oder als diejenigen, deren Leistungen bei Arbeitslosigkeit und in der Arbeitsmarktpolitik weiter gekürzt werden. Dabei ist die BA schon mit dem sogenannten Eingliederungsbeitrag von etwa 5 Milliarden Euro im Jahr für die hälftigen Ausgaben der Arbeitsmarktpolitik für die Langzeitarbeitslosen belastet.

Immer mehr Arbeitslose in Hartz IV

Dabei war einer der wesentlichen Gründe für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, dass eine saubere Trennung der Finanzierung des aus Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzierten Versicherungssystems ALG I und des steuerfinanzierten „Fürsorgesystems“ ALG II  erreicht werden müsse. Der Anteil der Arbeitslosen die noch Arbeitslosenversicherungsleistungen ALG I erhalten, ist inzwischen auf 35 Prozent gesunken. Obwohl Arbeitnehmer grundsätzlich aus ihrem Einkommen Beiträge zur BA leisten müssen, haben sie immer weniger Anspruch auf die Arbeitslosenversicherungsleistung ALG I. Vielmehr müssen sie in das an ihrer Bedürftigkeit gemessene Hartz IV und ALG II System absteigen. Dieser soziale Abfall ist durch die schwarz-gelbe Bundesregierung noch einmal verstärkt worden. Im Rahmen des 8o Milliarden schweren Kürzungspaketes sind die Ausgleichszahlungen beim Übergang von ALG I in ALG II gestrichen worden. Darüber hinaus müssen die Arbeitnehmer durch den ungenierten Griff der Bundesregierung in die Kassen der BA immer mehr für Hartz IV zahlen. Diese ungerechten Verschiebemanöver werden weiter erheblich verschärft, wenn der BA zusätzlich der hälftige Mehrwertsteuerpunkt abgenommen wird.

Frau von der Leyen hat hierzu bereits medial die Begleitmusik geliefert. Schließlich sei der Mehrwertsteuerpunkt für die BA in finanziell schwierigen Zeiten zur Verfügung gestellt worden. Dass damit eine Beitragssatzsenkung finanziert wurde, erwähnt sie mit keinem Wort. Zudem ist sie auch davon überzeugt, dass Demographie und Fachkräftelücke einen wahren Run der Arbeitgeber auf Langzeitarbeitslose und sonstige schwer vermittelbare Arbeitslose hervorrufen wird. Es würden dann erheblich weniger arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erforderlich – ein weiteres Einsparpotential für den Bundesfinanzminister. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet sich allerdings erheblich von dieser medialen Propaganda.

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