Rente mit 67: Verwirrspiel mit Statistik

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Das Verwirrspiel mit Zahlen um die Rente mit 67 geht munter weiter. Jetzt hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen Schützenhilfe vom Statistischen Bundesamt erhalten: Die Erwerbstätigkeit der 60-bis 65 Jährigen hat sich mit annähernd 40 Prozent in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Zu völlig anderen Schlussfolgerungen kommt der 4. Monitoring Bericht des „Netzwerk für eine gerechte Rente“. Danach ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in vielen Berufsgruppen für die 64- und 65-Jährigen mit weit unter drei Prozent verschwindend gering. Es kommt mithin immer auf den Standort der Betrachtung an.

Das öffentliche Verwirrspiel mit Zahlen um die kontroverse „Rente mit 67“ geht munter weiter. Worum geht es? Nach dem Gesetz ist die Bundesregierung verpflichtet, bis zum Ende diesen Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt für die Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre ab 2012 bis 2029 gegeben sind. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat ihre gut geölte „Public Relations Maschine“ bereits angeworfen.

Verschiedentlich wies sie in ihren öffentlichen Aussagen darauf hin, dass die Erwerbstätigkeit der 60- bis 65 Jährigen in den vergangenen Jahren erheblich auf 40 Prozent angestiegen sei. Damit seien ihrer Auffassung nach die Voraussetzungen -auch nach dem Gesetz- für den Beginn der Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre ab 2012 gegeben (s. „Mit Zahlen-Trickserei zur Rente mit 67“).

Mediale Schützenhilfe erhielt sie jetzt vom Statistischen Bundesamt: „Die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen in Deutschland wächst. 2009 waren 38,7 Prozent zwischen 60 und 64 Jahren erwerbstätig und damit fast doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor“. Prompt war der Aufmacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Ältere arbeiten deutlich länger als noch vor einem Jahrzehnt. Zahl der Renteneintritte wegen Gesundheitsproblemen sinkt.“

Erheblich zu relativieren ist diese „frohe Botschaft“ bereits  dadurch,  dass  das Statistische Bundesamt selbst feststellt: Der Renteneintritt erfolgt zwischen 58 und 64 Jahren – zwar zwei Jahr später als vor zehn Jahren, aber immer noch in einer gleich langen Zeitspanne von 6 Jahren. Und mit 65 Jahren sind nur noch 11,6 Prozent erwerbstätig. Was nicht gesagt wird:  Dies bedeutet schon heute für die betroffenen Menschen teilweise hohe Rentenabschläge bis 18 Prozent.

Der Beginn der Rente mit 67 soll bereits in 15 Monaten zum 1.1.2012 erfolgen. Bis dahin ist trotz aller Beschwörungen über das große Interesse der Unternehmen an älteren Arbeitnehmern wegen der Demographie keinesfalls mit einer nennenswerten Erhöhung der Erwerbstätigkeit der rentennahen Jahrgänge zu rechnen. Und es wird Jahrzehnte dauern, bis auch über 63-Jährige die gesundheitlichen Voraussetzungen sowie faire Chancen für eine humane Beschäftigung erhalten. Noch gar nicht berücksichtigt dabei ist der Tatbestand, dass der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für die älteren Arbeitnehmer noch weit niedriger ist.

Der vor wenigen Tagen vorgestellte -im Auftrag des „Netzwerk für eine gerechte Rente“ von Gewerkschaften und Sozialverbänden (Gutachten von Prof. Gerd Bäcker, Universität Duisburg-Essen; Prof. Dr. Ernst Kistler, Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie, Augsburg) erstellte- 4. Monitoring Bericht zeigt dies in alarmierender Form: Danach liegt die Vollzeitbeschäftigung für die 63-Jährigen bei 9,2 Prozent und für die 64-Jährigen bei nur noch 6,3 Prozent. Dabei wird dieses schon verheerende statistische Bild noch nach oben verzerrt. Zu den Vollzeitbeschäftigten zählen auch diejenigen, die sich bereits in Altersteilzeit befinden – also in Wirklichkeit gar nicht mehr arbeiten, aber noch statistisch als Beschäftigte erfasst werden.

Wie irreführend die von der Bundesarbeitsministerin ständig propagierte Erwerbstätigkeit von 40 Prozent für die 60- bis 65 Jährigen ist, zeigt sich noch mehr bei einer Aufgliederung nach Berufsbereichen von Ende 2009: Danach waren nach der BA-Beschäftigungsstatistik in vielen Bau- und Dienstleistungsberufen nur noch weit weniger als 3 und sogar 2 Prozent zwischen 60 und 65 Jahren noch in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung: Maler/Lackierer zu 2,9 Prozent, Mechaniker zu 2,8 Prozent, Dienstleistungskaufleute zu 2,7 Prozent, Bau-/Raumausstatter zu 2,7 Prozent, Nachrichtenverkehr zu 2,7 Prozent, Gesundheitsdienstberufe zu 2,6 Prozent, Tischler/Modellbauer zu 2,3 Prozent, Metallfeinbauer zu 2,4 Prozent, Mineralgewinner zu 2,3 Prozent, Hilfsarbeiter zu 2,2 Prozent, Gästebetreuer zu 2,0 Prozent, Back-/Konditorwarenhersteller zu 2,0 Prozent, Körperpfleger zu 1,8 Prozent, Zimmerer, Dachdecker und Gerüstbauer zu 1,6 Prozent.

Verwirrend sind auch die Aussagen zur Arbeitslosigkeit der älteren Arbeitnehmer: Laut statistischem Bundesamt stellt die Erwerbslosigkeit im Alter 2009 kein besonderes Problem dar. Keine Aussagen werden allerdings über das überdurchschnittlich hohe Maß der Langzeitarbeitslosigkeit bei den Älteren getroffen. In dem Gutachten von Bäcker und Kistler wird hierzu festgestellt: Ältere sind in besonderem Ausmaß von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Mitte 2010 waren es 16 Prozent aller älteren Arbeitslosen (zwischen 55 und 65 Jahren). Besonders dramatisch ist: Nur etwa ein Viertel  von ihnen schafft den Übergang in eine Beschäftigung. Die Mehrheit der betroffenen Älteren muss mithin aus Langzeitarbeitslosigkeit in die Rente mit 63 gehen – unter Abschlägen von 7,2 Prozent. Bei der Heraufsetzung des Rentenalters werden sich diese Abschläge weiter erhöhen.

Das Statistische Bundesamt weist darauf hin, dass 2009 etwa 23 Prozent der Älteren aus gesundheitlichen Gründen in Rente geht – und zwar bereits im Schnitt mit 55 Jahren. Vor zehn Jahren waren es noch 28 Prozent. Höchst fragwürdig ist jedoch, dies als „Erfolg“  für geringere gesundheitliche Belastungen bewerten zu wollen. Entscheidend dürfte vielmehr sein, dass es seit 2001  erhebliche Verschärfungen beim Zugang zu und Verschlechterungen bei der Höhe der Erwerbsminderungsrenten gegeben hat. Ältere Menschen mit gesundheitlichen Schäden haben daher oft keine Alternative als Arbeit unter schlechteren Bedingungen oder Langzeitarbeitslosigkeit.

Der Marsch in die Armutsrente setzt sich fort – mithin höchst Zeit zur politischen Einkehr und Umkehr sowie  Abkehr von der Rente mit 67.

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