Hartz IV- Ein Armutszeugnis der Politik

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Mit gekonnter öffentlicher Inszenierung hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen über Monate die Bevölkerung mit der Neufassung der Regelsätze für Hartz IV und die Leistungen für Kinder in Atem gehalten. Die jetzt beschlossene Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro von 359,- auf 364,- Euro  ist eher ein Armutszeugnis der Politik. Eine nachhaltige Lösung für Eltern und Kinder, aus der Hartz IV Falle zu entkommen, ist nicht in Sicht.

Kinder: Wahl-/Pflichtfächer an Schulen

Mit gekonnter öffentlicher Inszenierung hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition und insbesondere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen über Monate die Bevölkerung mit der Neufassung der Regelsätze für Hartz IV und die Leistungen für Kinder in Atem gehalten. Die mit großer öffentlicher Spannung erwartete Entscheidung wird für die betroffenen Menschen  gerade einmal eine Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro von 359,- auf 364,- Euro bringen. Für Kinder soll es zusätzliche Sachleistungen für Bildung, Sport und Kultur geben. Dabei ist völlig unklar, wie dies praktisch umgesetzt wird. Dies ist ein Armutszeugnis der Politik: Eine nachhaltige Lösung, die geforderte Transparenz und  gesellschaftliche Integration der etwa 7 Millionen Hartz IV Empfänger ist dies in keinem Fall. Ebenso wenig kann so für Eltern und Kinder der Weg gewiesen werden, endlich aus der Hartz IV Spirale zu entkommen.

Kinder besonders betroffen

Untersuchungen und Erfahrungen machen die fortdauernde Benachteiligung gerade der Kinder deutlich. Hartz IV wird somit immer mehr zu einem Fass ohne Boden bzw. Schicksal auch für die zukünftigen Generationen. Den Eltern gelingt es kaum, der Hartz IV Falle zu entkommen und ein ähnliches Schicksal ist für die Zukunft ihrer Kinder vielfach bereits vorprogrammiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil klar gefordert, dass die Berechnung der Regelsätze transparent gemacht werden und sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren müsse.

Lohnabstandsgebot erfordert Mindestlohn

Das gängige Argument, eine weitere Erhöhung der Regelsätze verbiete sich, da dann das Lohnabstandsgebot zu den Niedriglöhnen nicht gehalten werden kann, wird auch durch häufiges Wiederholen nicht richtiger. Durch die Öffnung der gesetzlichen Schleusen bei den prekären Arbeitsverhältnissen mit Niedrigst- und Armutslöhnen und deren extensive bis missbräuchliche Ausnutzung durch die Wirtschaft wächst auch die Zahl der Hartz IV Empfänger stetig an. Eine wirkliche Lösung muss daher an beiden Seiten ansetzen: Transparente bedarfsgerechte Regelsätze der Grundsicherung, um den betroffenen Menschen und ihren Kindern durch gesellschaftliche Teilhabe den Weg aus Hartz IV zu ermöglichen sowie einen ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn von mindesten 8,50 Euro, um Armut bei Arbeit und im Alter zu verhindern.

Chipkarte:„Public Relations“ als „Politikersatz“

In ihrer „public relations“ Masche hat die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen lange von der Brisanz der Höhe der Regelsätze abgelenkt, indem sie eine öffentliche Debatte über die Einführung einer Chipkarte für Sachleistungen zugunsten der Kinder anzettelte. Dabei kann sie sich auf breite Unterstützung in der Bevölkerung stützen, wenn sie an Stelle zusätzlicher Geldleistungen für Kinder -für deren Teilnahme an Bildung, Sport und Kultur- Sachleistungen zur Verfügung stellen will. Allerdings ist ihre Chipkarte als Medienrenner über Monate inzwischen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen.

 Auch ihr zweiter Versuch, durch die Umbenennung von Hartz IV in „Basisgeld“ von der eigentlichen Problematik -der Höhe der Regelsätze- abzulenken, ist ins Leere gelaufen.

 Übrig geblieben sind 480 Millionen Euro in ihrem Etat, der für die erforderlichen Sachleistungen für Kinder je nach kommunalen Bedingungen -z.B. über einen bereits eingeführten Familienpass- zur Verfügung gestellt werden soll.

Ebenfalls sollen auch Kinder aus Niedriglohn-Familien in diese Sachleistungen für Kinder einbezogen werden, da ansonsten weitere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Gleichbehandlung drohen. Fragwürdig ist allerdings, wie diese zusätzlichen Leistungen finanziert werden sollen. Die „Haushälter“ der schwarz-gelben Regierungskoalition haben bereits klar gestellt, dass sie keine weiteren Haushaltsmittel für den Etat des Bundesarbeitsministeriums genehmigen werden. Weitere Ausgaben für Kinder aus sozial schwachen Schichten müssen daher durch Einsparungen an anderer Stelle in ihrem Etat ausgeglichen werden. Damit ist vorprogrammiert, dass neue Löcher bei der Arbeitsmarktpolitik aufgerissen werden. Die Verbesserung der Bildungs- und demnächst dann hoffentlich Beschäftigungschancen von Kindern aus unterprivilegierten Schichten würden somit erkauft durch den Abbau der Arbeitsmarktpolitik für benachteiligte Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehören in erster Linie gering qualifizierte Jugendliche, Behinderte, Ältere und Alleinerziehende: Dies ist nichts anderes als „Austreiben des Teufels mit Beelzebub“ – die logische Konsequenz, wenn „public relations“  immer mehr zum „Politikersatz“ wird.

 Job Coach: Verschiebung von Verantwortung

Und für die erfolgsverwöhnte Bundesarbeitsministerin dürfte sich ein weiteres „Loch Ness“ auftun: Nach ihren Vorstellungen soll in allen Job Centern jeweils ein Job Coach mit den Eltern und Lehrern der Hartz IV Kinder über deren zusätzliche Bildungs-, Sport- und Kulturangebote entscheiden. Bei der praktischen Umsetzung gibt es allerdings mehr Fragen als Antworten. Wie ist dies z.B. in Job Centern mit einem hohen Anteil von Hartz IV Kindern aus Migrantenfamilien, wobei  erhebliche nicht nur sprachliche, sondern auch gesellschaftliche und vor allem kulturelle Barrieren zu überwinden sind. Wie kann verhindert werden, dass ein „Run“ der Anbieter von Bildungs-, Sport- und Musikleistungen auf die Job Center und Hartz IV Kinder einsetzt? Wie kann die „Spreu vom Weizen“ getrennt werden. Sollen auch hierbei aufwendige Zertifizierungsverfahren vorgeschrieben werden und wer soll diese durchführen? Wie ist deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. Was ist mit Kindern in Regionen ohne geeignete Angebote? Können Eltern überhaupt gezwungen werden, ihre Kinder in derartige zusätzliche gesellschaftliche Integrationsangebote zu schicken? Sollen jetzt die Mitarbeiter in den Job Centern (Job Coach) Aufgaben der Jugendämter übernehmen. Wie viel Job Coaches wären in den Job Centern erforderlich, um eine solche schwierige Aufgabe ausreichend erledigen zu können.

Wahl-/Pflichtfächer in Grundschulen

Bei so vielen ungeklärten Fragen bezüglich der durchaus zweckmäßigen zusätzlichen Leistungsangebote für Kinder aus Hartz IV Familien als Sachleistungen, möchte ich mir folgende Anregung erlauben: Alle Grundschulen sollten derartige zusätzliche Leistungen bei Bildung, Sport und Musik anbieten – als Wahl/Pflichtfächer für alle Kinder nach ihren individuellen Neigungen und Fähigkeiten. Wenn es noch gelänge, die Schulen mit ausreichenden sozialpädagogischen Zusatzkräften (mit der erforderlichen Sprachkompetenz) auszustatten, könnte der Erfolg erheblich verbessert werden. Damit wären auch die Probleme der missbräuchlichen kommerziellen Nutznießung einzelner Anbieter, der Stigmatisierung der Kinder aus Hartz IV Familien sowie der Vernachlässigung der Kinder aus Familien mit Niedriglöhnen, und der sozialen und kulturellen Barrieren bei der Teilnahme erheblich eher zu überwinden. Da Schulpflicht besteht, wäre es auch leichter, die Teilnahme der Kinder aus den sozial schwachen Schichten tatsächlich durchzusetzen. Dies könnte in Kooperation mit den Job Centern geschehen, die dann keine „überforderten“ Job Coaches einsetzen müssten und sich besser um die berufliche Eingliederung der Eltern in Hartz IV kümmern könnten. Die Verstärkung finanzieller und personeller Ressourcen in den Job Centern auf die berufliche Eingliederung der Eltern ist die bei weitem beste Voraussetzung auch für die Kinder, aus dem Teufelskreis von Hartz IV herauszukommen.

Es wäre des „Schweißes der Edlen“- wie der Bundesarbeitsministerin wert, die viel beschworene Kulturhoheit der Bundesländer hierbei zu überwinden. Auch die Länder müssten ein großes Interesse an einer nachhaltigen Lösung zur Eingrenzung von Hartz IV haben, da sie an den ausufernden Gesamtkosten für Hartz IV von bald 50 Mrd. Euro im Jahr durch die steigenden Kosten für Wohn- und Heizgeld sowie die begleitenden sozialen Maßnahmen und die Grundsicherung bei Armut im Alter betroffen sind. Zu prüfen wäre, inwieweit eine Verpflichtung zur Teilnahme aller Kinder in den vorschulischen Kinderbetreuungseinrichtungen -zumindest in den letzten Jahren- möglich und durchsetzbar ist. Wie in- und ausländische Untersuchungen deutlich zeigen, ist der Erfolg der gesellschaftlichen Teilhabe gerade für Kinder aus sozial schwachen Schichten umso größer, je früher damit begonnen wird. Auch hier könnten kindgerechte Angebote für Sport, Musik und Kultur im weitesten Sinn die Nachteile der Kinder aus Hartz IV – und Niedriglohnfamilien ausgleichen.

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