Hartz IV: Baustelle der Ursula von der Leyen

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Die Reform von Hartz IV ist derzeit die größte Baustelle der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Dabei drängt die Zeit: Nach den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes muss die Neufestsetzung der Regelsätze für die Grundsicherung für Erwachsene und vor allem Kinder Anfang 2011 in Kraft treten. Die Mini-Erhöhung von fünf Euro bei Aussetzung der Regelerhöhung Mitte 2011 sowie die unausgegorenen Pläne für das „Bildungspaket“ haben in Politik und Öffentlichkeit für erhebliche Empörung gesorgt. Für die Durchsetzung ihres Gesetzentwurfes ist die Zustimmung der Opposition im Bundesrat erforderlich. Bis zu seiner entscheidenden Sitzung am 17. Dezember hat Frau von der Leyen nur noch wenig Zeit. Dabei muss sie zeigen, ob ihr politisches Verhandlungsgeschick ebenso erfolgreich ist wie ihre gekonnte „public relations“ Strategie.

Wirtschaft und Arbeitsmarkt brummen: Erwartet wird ein Rekordwachstum von 3,5 Prozent in diesem Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen wird erstmalig seit den Beschäftigungseinbrüchen nach der Deutschen Einheit unter die magische Grenze von 3 Millionen fallen. Gleichzeitig wird Deutschland von einer Integrations- und Islam-Debatte bis zur Hysterie erschüttert. Die Explosion von Niedriglohnsektoren, prekärer Beschäftigung und Armut bei Arbeit werden in den Hintergrund gedrängt.

Der Aufschrei der Empörung über die Minierhöhung bei den Regelsätzen für Hartz IV Empfänger von „sage und schreibe“ fünf Euro im Monat scheint zu verstummen. In vielen Interviews und Talk Shows hat Ursula von der Leyen die Fünf-Euro Erhöhung der Hartz IV Sätze massiv verteidigt: Konjunkturboom und Beschäftigungswunder werden es schon richten; die Arbeitgeber werden sich um die Einstellung der Langzeitarbeitslosen reißen. Somit wird sich das Dauerproblem von Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV von selbst lösen.

Bildungspaket statt existenzsichernder Regelsätze

Mit gekonnter öffentlicher Inszenierung hat Frau von der Leyen die Republik monatelang mit Debatten über Bildungspakete und Gutscheine für Hartz IV Kinder in Atem gehalten und von der Reform bei den Regelsätzen abgelenkt. Die praktische Umsetzung der schwierigen Reform der Job Center ist hierdurch massiv belastet: Auf die viel zu wenig und unzureichend ausgebildeten Mitarbeiter in den Job Centern sollten weitere Aufgaben verschoben werden: die Übernahme maßgeblicher Verantwortung mit Eltern und Schulen bei der Erziehung, Bildung und kulturellen Teilhabe der Hartz IV Kinder. Dies ist eine abenteuerliche Vorstellung bei Betrachtung der Realität: Unter den knapp 7 Millionen Hartz IV Empfängern in den Job Centern gibt es 1,2 Millionen Bedarfsgemeinschaften mit insgesamt etwa 1,8 Millionen Kindern. Das Bildungspaket soll ihnen ermöglichen, im Sportverein, an der Musikschule oder an Klassenfahrten teilzunehmen, ein warmes Mittagessen zu beziehen oder Nachhilfeunterricht zu erhalten. Dafür sind zunächst Gutscheine von monatlich pauschal 10 Euro vorgesehen. Später soll dies durch ein System von Chipkarten abgelöst werden. Unabhängig davon,  dass die beabsichtigten Bildungsangebote mit 10 Euro pro Monat keinesfalls erfüllt werden können, erfordert ein derartiges Gutscheinsystem einen erheblichen Verwaltungsaufwand.

Die Bundesagentur für Arbeit hat jetzt zu Recht die Reißleine gezogen: Mit der zusätzlichen Belastung von Bildungspaketen und Bildungsgutscheinen kann sie ihrer Verantwortung zur beruflichen Eingliederung der Langzeitarbeitslosen sowie der Zahlung von ALG II Leistungen nicht ausreichend nachkommen. Flugs hat die Bundesarbeitsministerin von der Leyen mit ihrer sprichwörtlichen pragmatischen Wendigkeit den Kommunen, die ja heute bereits für die Kinder- und Jugendhilfe zuständig sind, die Möglichkeit eröffnet, die Verwaltung der Bildungspakete und Gutscheine zu übernehmen. Ihrer Widersacherin in den eigenen Reihen, der CSU Sozialministerin Christine Hadertauer ließ sie mitteilen, dass im Gesetzgebungsverfahren  Veränderungen an ihren Bildungskonzepten für Hartz IV Kinder eingebracht werden könnten.

Eingliederung Langzeitarbeitsloser im Hintergrund

Das eigentliche Ziel von Hartz IV und die Hauptaufgaben der Job Center drohen immer mehr in den Hintergrund zu geraten – die möglichst schnelle und effiziente berufliche Eingliederung der Hartz IV Empfänger:  In den Job Centern geht unter den Mitarbeitern die Angst um, dass ihre befristeten Arbeitsverträge nicht verlängert werden; die Jüngeren, Mobilen und Qualifizierteren unter ihnen werden nach beruflichen Alternativen suchen, wodurch die Qualität der Vermittlungsarbeit weiter leiden wird; die Umsetzung der erst kürzlich beschlossenen Reform der Job Center mit der Möglichkeit zur Bildung weiterer Optionskommunen wird zusätzliche Umstellungsarbeiten und Unsicherheiten in die Job Center bringen; Schließlich wird die schwierige Vermittlungsarbeit der Langzeitarbeitslosen durch die Sparmaßnahmen -vor allem zu Lasten der Arbeitsmarktpolitik- weiter eingeschränkt.

Eine reine Augenwischerei ist die von Schwarz-Gelb jetzt vorgesehene Heraufsetzung der Hinzuverdienstgrenzen. Auch hier ist die FDP mit ihren groß angekündigten Vorschlägen zur Reform von Hartz IV als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Herausgekommen ist aus den Arbeitsgruppen und der vielen „Rechnerei“ lediglich, dass Hartz IV Empfänger von einem monatlichen Einkommen zwischen 800 und 1000 Euro 20 Cents statt wie bisher 10 Cents je Euro behalten dürfen. Dies geht an der Arbeitsrealität der „Aufstocker“ meilenweit vorbei. Ein großer Teil von ihnen hat lediglich eine geringfügige Beschäftigung, d.h. einen „bis 400 Euro Job“ mit verringerten Sozialversicherungsbeiträgen. Wie die Erfahrung zeigt, kommen sie damit aus der Falle von Armut bei Arbeit nicht heraus. Immer mehr Arbeitsverhältnisse und Arbeitnehmer hängen somit dauerhaft am Tropf des Staates. Die Arbeitgeber reiben sich angesichts des steigenden Ausmaßes der subventionierten Kombilöhne die Hände. Für die Steuerzahler wird dies immer mehr zu einem Fass ohne Boden.

Ratschläge für Frau von der Leyen

Es ist zu erwarten, dass diese Hartz IV Reformen in der abschließenden Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember nicht verabschiedet werden. Die Oppositionsparteien haben bereits ihren Widerstand angekündigt. Der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen wäre anzuraten, die Argumente der Kritiker ernst zu nehmen. Notwendig ist vor allem:

(1) Die wirtschaftlich und sozial gleichermaßen unvertretbaren Kürzungen und Streichungen bei der Arbeitsmarktpolitik sowie den Hartz IV Leistungen beim Übergang von ALG I  in ALGII, beim Heizgeld, bei der Anrechnung des Elterngeldes, sowie bei den Zuschüssen für die Gesetzliche Rentenversicherung sind zurückzunehmen. Sie bedeuten eine weitere Stigmatisierung und Ausgrenzung der Arbeitslosen und erschweren die berufliche Eingliederung – stehen mithin den von der schwarz-gelben Regierungskoalition selbst gesetzten Zielen diametral entgegen.

(2) Ausbau von Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen mit ausreichenden Bildungsangeboten für alle Kinder. Dabei wäre durchaus zu erwägen, inwieweit die besserverdienenden Eltern einen finanziellen Beitrag dazu leisten, wie dies heute bereits bei der Kinderbetreuung teilweise praktiziert wird. Bis dies erreicht ist, sollte es den Kommunen überlassen bleiben, in welcher Form sie die Bildungsangebote für die Kinder aus Hartz IV und einkommensschwachen Familien gestalten.

(3) In den Job Centern ist den Mitarbeitern durch Umwandlung der befristeten in dauerhafte Beschäftigung die notwendige Sicherheit und Qualifikation für ihre schwierigen Aufgaben zu geben. Die gesetzlich vorgesehenen Schlüsselzahlen für das Verhältnis von Fallmanagern zu Arbeitslosen von mindestens 1 zu 75 für Jugendliche und 1 zu 150 für Erwachsene ist in der Praxis umzusetzen. Bei Belastung der Job Center mit zusätzlichen Verwaltungsaufgaben -z.B. zur Umsetzung der Bildungspakete für Hartz IV Kinder- sind hierfür auch zusätzliche personelle Kapazitäten in der erforderlichen Qualifikation zur Verfügung zu stellen.

(4) Das „Placebo“ der erhöhten Hinzuverdienstgrenzen für Hartz IV Empfänger ist in eine echte praktikable Lösung umzuwandeln. Danach müssen auch weiterhin die ersten 100 Euro anrechnungsfrei bleiben- wegen des zusätzlichen Aufwandes bei Aufnahme einer Arbeit. Darüber hinaus sollten untere Einkommen weniger und höhere Einkommen entsprechend mehr anrechnungsfrei bleiben, um überhaupt einen Anreiz für längere Arbeitszeiten und höhere Einkommen zu schaffen. Die Anrechnungsfreiheit solle darüber hinaus an das Vorliegen eines Mindestlohnes gekoppelt werden. Nur dann wird es gelingen, mehr Menschen aus der Hartz IV Falle heraus und in existenzsichernde Arbeit hinein zu bringen. Dies sind im Übrigen auch die besten Voraussetzungen dafür, dass die Kinder aus den Hartz IV Familien der Armutsfalle entkommen.

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